Der literarische Herbst wartet mit einigen großen Neuerscheinungen auf: Daniel Kehlmann veröffentlicht nach sechs Jahren einen neuen Roman. Juli Zeh verhandelt Gerechtigkeitsfragen in Kinderbuchform. Das literarische Debüt der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux erscheint endlich auf Deutsch. Peter Handke erzählt vom Heimkehren...
Vor sechs Jahren erschien Daniel Kehlmanns großer Bestsellerroman "Tyll" - Ein monumentales Werk über die Figur des Tyll Ulenspiegels, den Kehlmann vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges setzte. Seither schrieb der Autor kürzere, oft essayistisch anmutende Stücke, mehrere Drehbücher und Artikel. In Buchform erschien zuletzt seine Stuttgarter Zukunftsrede unter dem Titel "Mein Algorithmus und Ich" bei Klett-Cotta. Wer auf einen nächsten großen Wurf des Autors wartete, darf sich auf den Oktober freuen. Da erscheint Kehlmanns vierter Roman "Lichtspiel" - ein 480 Seiten starkes Werk, in dessen Mittelpunkt abermals eine historische Figur steht. Er erzählt wird das Leben des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst (1885-1967), der einer der großen Filmemacher der Weimarer Republik war und dessen Leben mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus den Fugen geriet. In der Verlagsankündigung heißt es:
"Einer der größten des Kinos, vielleicht der größte Regisseur seiner Epoche: Zur Machtergreifung dreht G. W. Pabst in Frankreich; vor den Gräueln des neuen Deutschlands flieht er nach Hollywood. Aber unter der blendenden Sonne Kaliforniens sieht der weltberühmte Regisseur mit einem Mal aus wie ein Zwerg. Nicht einmal Greta Garbo, die er unsterblich gemacht hat, kann ihm helfen. Und so findet Pabst sich, fast wie ohne eigenes Zutun, in seiner Heimat Österreich wieder, die nun Ostmark heißt. Die barbarische Natur des Regimes spürt die heimgekehrte Familie mit aller Deutlichkeit. Doch der Propagandaminister in Berlin will das Filmgenie haben, er kennt keinen Widerspruch, und er verspricht viel. Während Pabst noch glaubt, dass er dem Werben widerstehen, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen wird, ist er schon den ersten Schritt in die rettungslose Verstrickung gegangen."
Terézia Mora und "Muna oder Die Hälfte des Lebens"
Bereits Ende August erscheint mit "Muna oder die Hälfte des Lebens" ein neuer Roman der ungarischen Schriftstellerin Terézia Mora. Darin erzählt sie von einer komplizierten Liebesgeschichte, die von Abhängigkeiten und Formen der Gewalt geprägt ist. Im Fokus steht die titelgebende Protagonistin Muna, die als Schülerin Magnus kennenlernt, Französischlehrer und Fotograf. Sie verbringt eine Nacht mit ihm, doch mit dem Mauerfall verschwindet er. Jahre später begegnen sich die beiden wieder und werden ein Paar. Der Luchterhand Verlag kündigt das Buch folgendermaßen an:
"Muna liebt Magnus. Ob und wen Magnus liebt, ist schwer zu sagen. Was geschieht mit einem Leben, das man in Abhängigkeit von einem anderen führt? Muna steht vor dem Abitur, als sie Magnus kennenlernt, Französischlehrer und Fotograf. Mit ihm verbringt sie eine Nacht. Mit dem Mauerfall verschwindet er. Erst sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und werden ein Paar. Muna glaubt, in der Beziehung zu Magnus ihr Zuhause gefunden zu haben. Doch schon auf der ersten gemeinsamen Reise treten Risse in der Beziehung auf. Im Laufe der Jahre nehmen Kälte, Unberechenbarkeit und Gewalt immer nur zu. Doch Muna ist nicht gewillt aufzugeben."
Annie Ernaux und "Die leeren Schränke"
Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux veröffentlichte ihren ersten Roman "Les Armoires vides" bereits 1974. Ende September erscheint das Debüt nun unter dem Titel "Die leeren Schränke" endlich auf Deutsch. Wie in ihren anderen Werken auch, ist Ernaux Aufschlag stark autobiografisch geprägt. Es erzählt von einer aus dem Arbeitermilieu stammenden jungen Studentin, die eine Abtreibung erlebt und über ihre Kindheit und Jugend nachdenkt. Der Suhrkamp Verlag kündigt das Buch so an:
"An einem Sonntag im Jahr 1961 sitzt die zwanzigjährige Literaturstudentin Denise Lesur in ihrem Zimmer und wartet – dass ihr Körper die Abtreibung vollzieht, die eine Engelmacherin im Verborgenen eingeleitet hat. Der gebildete, bourgeoise, selbstgewisse Marc hat Denise auf die Nachricht der Schwangerschaft hin direkt verlassen. Und das Milieu, das er verkörpert, hätte sich auch nie ganz in ihrem Körper beheimaten können. Während sie also wartet, denkt sie über ihre Kindheit und Jugend nach: Zerrissen zwischen dem Elternhaus – obgleich stolze Épicerie-Besitzer sind ihre Eltern den bescheidenen, ländlichen Verhältnissen der Herkunft nie wirklich entronnen – und den Mitschülerinnen jener besseren Schulen, auf die ihre guten Leistungen sie befördert hatten, fühlt sich Denise von beiden Seiten stets abgestoßen."
Peter Handke "Die Ballade des letzten Gastes"
Auch der österreichische Literaturnobelpreiträger Peter Handke veröffentlicht im Herbst ein weiteres Werk. In "Die Ballade des letzten Gastes" erzählt er von Heimkehr, von einem alten neuen Blick und erinnernden Zwiegesprächen. Das Buch erscheint Ende Oktober. Suhrkamp schreibt:
"Von einem anderen Erdteil kehrt Gregor zurück in die Heimat. Das »vormalige Vieldörferland« ist eine städtische Agglomeration geworden, vertraut und zum Verirren fremd zugleich. Auch die Familie hat sich verändert: Zwar wartet der Vater wie früher mit den Spielkarten, doch hat die Schwester überraschend einen Säugling auf dem Arm. Er, der große, ältere Bruder, soll der Taufpate des Kindes werden. Vom jüngeren Bruder Hans bleiben derweil nur die Todesnachricht, vom älteren der Familie verschwiegen, und Erinnerungen, zum Beispiel an den Unfall in den Brennesseln. Selbst der Obstgarten ist ein anderer geworden, noch immer an Ort und Stelle, aber längst nicht mehr zu retten. Es zieht ihn also in die Straßen und Gassen, ins Kino, ins Fußballstadion, in den Wald, und er geht und geht immer weiter."
Sebastian Fitzek und "Die Einladung"
Kein Herbst ohne einen Thriller von Sebastian Fitzek. In "Die Einladung" schickt der 51-Jährige die Protagonistin Marla Lindberg auf ein Klassentreffen in ein abgelegenes Berghotel. Was sie dort erwartet, ist alles andere als das, was sie erwartet hatte. "Die Einladung" erscheint Ende Oktober. Die Ankündigung des Droemer Knaur Verlags fasst das Spektakel folgendermaßen zusammen:
"In Vorfreude auf ein verlängertes Wochenende in den Alpen folgt Marla Lindberg der Einladung zu einem Klassentreffen. Doch schon kurz nach der Ankunft wird ihr klar: Es gibt nur eins, was tödlicher ist, als das abgeschiedene Berghotel nachts im eisigen Schneetreiben wieder zu verlassen. Es nicht zu tun …
Die Einladung: Wehe dem, der sie erhält...
Marla Lindbergs Erinnerungen sind glasklar: An die seltsame Nachricht, die sie in eine stillgelegte Geburtsklinik lockte. An die Gestalt, die versuchte, sie zu töten. Das seltsam pfeifende Husten des Psychopathen beim Kampf auf Leben und Tod.
Nach Jahren der Psychotherapie hat die hochintelligente junge Frau gelernt: Das alles sind falsche Erinnerungen. Marla leidet unter Gesichtsblindheit. Ihr Gehirn spielt ihr in Extremsituationen Streiche, wenn es vergeblich versucht, Menschen an ihrem Gesicht zu erkennen.
Als Marla die Einladung zum Klassentreffen in den Alpen bekommt, hofft sie darauf, mit ihren ehemaligen Mitschülern in schönen und echten Erinnerungen schwelgen zu können. Bei ihrer Ankunft in dem verschneiten Berghotel sind alle Zimmer bereits bezogen. Benutztes Geschirr steht auf dem Esstisch, der Kamin flackert, doch es ist niemand da. Marla beginnt die anderen zu suchen. Und dann hört sie es wieder. Wie jemand pfeifend hustet, draußen, in der eisigen Dunkelheit …"
Julie Zeh und "Der war's"
Die Bestsellerautorin hat ein neues Kinderbuch geschrieben. Gemeinsam mit der Juristin Elisa Hoven thematisiert sie in "Der war's" das Gerechtigkeitsempfinden von Kindern. Es geht im Kern um eine Gruppe Schüler, die herauszufinden versucht, wer das Pausenbrot einer beliebten Mitschülerin gestohlen hat. Schnell gerät da jemand in Verdacht, und bald wird sogar ein Gerichtsverfahren inszeniert. Der Carlsen Verlag bringt das Buch Ende September. In der Ankündigung heißt es:
"In der 6a ist ein Verbrechen geschehen: Marie, dem beliebtesten Mädchen der Klasse, wurden die Pausenbrote gestohlen. Schnell scheint klar, dass nur einer als Täter in Betracht kommt: Konrad. Der ist neu in der Klasse und hat noch keine Freund*innen gefunden. Statt auf dem Schulhof verbringt er die Pausen im Klassenraum. Wer soll es denn sonst gewesen sein? Konrad jedoch ist sich keiner Schuld bewusst. Und als die Kinder auf die Idee kommen, in einem Gerichtsverfahren über Schuld oder Unschuld zu verhandeln, kommt heraus: Es ist alles ganz anders, als sie dachten ...
Kinder haben ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit und Verantwortung. In vielen Kinderbüchern spielt die Verletzung gemeinsamer Regeln eine Rolle – Kinder ermitteln Diebe und Räubern wird das Handwerk gelegt. Wer Schuld hat, daran besteht kein Zweifel. In Der war’s liegen die Dinge, wie auch im echten Leben, anders: Je mehr sich die Kinder von ihren Vorurteilen lösen und je genauer sie hinschauen, desto mehr bröckelt der zuvor so eindeutige Verdacht."