Gedanken im Atelier (1)

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Ich male ja nicht mehr im Atelier, ich sitze nur noch im Atelier. Zwei, drei Stunden am Tag sitze ich nur, solange, bis der erste meiner Atelier-Mitbenutzer durch die Tür tritt. Dann verschwinde ich.

Ich stehe am Morgen um 8 Uhr auf, fahre ins Atelier, bleibe dort bis etwa 11 Uhr sitzen, verlasse das Atelier dann, fahre zurück in meine Wohnung. Mit Sicherheit gibt es tausend gute Gründe für mein Verhalten, doch... Nein. Von mir habe ich nichts mehr zu erwarten. Das soll aufgeschrieben werden. Das eben ist ja der Grund meines Totengebets. Daher mein Monolog. Das wortwörtliche Tanzen auf einem Grab, das Festtreten der über die Gefühlsleichen geschütteten Begriffe - Von mir habt ihr nichts mehr zu erwarten.

Vom Malenden bin ich zum Redenden, und vom Redenden bald schon zum Schreibenden übergegangen - Im Grunde nur, um nicht im Fahrwasser der Selbstüberschätzung stecken zu bleiben. Schreibend mache ich mir nun täglich klar: Du bist auf Begriffe zurückzuführen, du kannst begriffen werden. Malend dachte ich immer, ich schwebe in einer begriffsfreien Sphäre, ich stünde über dem Begreifbaren. Ein alberner, ein jugendlicher, ein unbezahlbarer Gedanke. Schreibend mache ich mich nun definierbar, schreibend lösche ich tagtäglich all die wunderbaren Träumereien und Phantasien aus, die ich mir damals, noch malend, vorbereitet und ausgedacht hatte. Reue? Nicht im Geringsten. Wozu die Zeitläufe bereuen? Angst vor dem Kommenden, das ist es, was mir zusetzt. Die Angst davor, dass auch für mich eines Tages der Moment kommen könnte, da ich mein Gesicht in irgendeine Kamera halte und so tue, als wüsste ich nichts von meiner Schuld, als wäre ich keiner von ihnen, als wäre nicht auch ich begreifbarer Überfluss, nicht ebenso süchtig nach Glanz und Anerkennung, nach Jubel. Ich habe Angst davor eines Tages so tun zu können, als kümmere ich mich nicht darum, wer in welch einer Weise wie wer über mich spricht, Angst davor, dass auch ich in eine Kamera sage: „Glaubt an euch, folgt euren Träumen, befreit euch von den institutionellen Zwängen.“, ohne mich selbst dabei zu peinigen und zu quälen.

Nein. Ich darf meinen Verrat an das Künstlerische nicht vergessen, nicht bagatellisieren. Ich muss mir vergegenwärtigen, muss aufschreiben: Hier ist er! Direkt vor mir! Auch dies hier ist ein Abzug meiner selbst! Auch dies hier ist gekonnt, auch du bist Könnender, nichts weiter! Denn auch hiermit ist ein für allemal festgelegt, was sich folglich nur noch wiederholen wird: Selbstgerecht sage ich, sagt ihr, sagen wir alle: „Ich kann“. All wir ach so ambitionierten Künstlerchen, sind wir nicht allesamt auf ein nur allzu laues und harmloses „Ich kann“ zurückzuführen? Als „Könnende“ auswechselbar geworden? Es bleibt meine künstlerische Überzeugung: Würde man morgen – etwa aus einer Laune heraus - die Hälfte von uns auslöschen, würde diese Auslöschung überhaupt keine bedauernswerten Lücken mehr hinterlassen, denn sofort kämen, aus allen Poren aller Städte, unzählige Neuanwärter: neue Schriftsteller, neue Maler, neue Musiker, neue Performer, neue Statisten, neue Galeristen, die problemlos unsere Plätze einnehmen könnten, ohne Unterschied, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Variation; mit den selben unterschiedlichen Linien, den selben unterschiedlichen Gesichtern, und schließlich den selben unterschiedlichen Ansichten. Wir sind Überfluss geworden, wir Künstlerinnen, wir Künstler - facettenreicher Überfluss. Wir haben uns ausgelöscht. In Kameras lächelnd erstickt. Wir haben uns den Begriffen ergeben, ich, ihr, wir alle. Wir haben die Kunst zum schillernden Tablou der Selbstdarstellung gemacht, einer Selbstdarstellung, in der Dreck durch Glitzern, Prozess durch Produkt und Leidenschaft durch Formeln ersetzt wurde.

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