Das Duell: Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki Auf zur innigen Feindschaft

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Der eine ging als der einflussreichste Literaturkritiker seiner Zeit, der andere als einer der wichtigsten Nachkriegsautoren in die Geschichte der deutschsprachigen Literatur ein. Anhand der prekären Beziehung zwischen Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass erzählt der Spiegel-Redakteur Volker Weidermann die bewegende Geschichte einer innigen Feindschaft.

In seinem Buch "Das Duell" erzählt der Spiegel-Redakteur Volker Weidermann von der schwierigen Beziehung zwischen Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass. Foto: Kiepenheuer und Witsch

Zwei Lebensgeschichten, untrennbar verbunden durch die Literatur. Volker Weidermann erzählt in seinem Buch "Das Duell" von einer schwierigen Beziehung zwischen Kritiker und Autor, von einem literarischen Schlagabtausch und den Traumata der deutsch-jüdischen Geschichte. Und eines ist klar: Unterschiedlicher hätten diese beiden Biografien, die hier nebeneinander gehalten werden, nicht sein können.

Ein spannender Perspektivenwechsel

1920 wird der spätere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (damals noch Marcel Reich) in der polnischen Großstadt Włocławek geboren. Bereits in jungen Jahren kommt er mit der deutschsprachigen Literatur in Berührung. Und bereits hier, lang vor den literarischen Karrieren, gibt es eine Überschneidung der beiden Beigrafien. Denn sowohl bei Ranicki als auch bei Grass ist es die Mutter, die jene Literatur-Begeisterung frühzeitig weckt. Abwechselnd beleuchtet Volker Weidermann die Lebensgeschichten dieser beiden Literaturgiganten, und verfolgt deren Wege, die später einmal - unter dem Zeichen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur - aufeinandertreffen werden.

Und unterschiedlicher hätten diese nicht sein können. Reich-Ranicki wuchs in einer assimilierten jüdischen deutsch - polnischen Familie auf. 1943 gelingt ihm, gemeinsam mit seiner Frau Tosia, die Flucht aus dem Warschauer Ghetto. Und schon wechselt die Szene: Wir sehen den jungen Günter Grass als Soldat der 10. SS-Panzer-Divison, und befinden uns somit in der anderen, befinden uns in der "deutschen" Biografie, die unter anderen Umständen einen anderen Werdegang hervorbrachte. Volker Weidermanns oszillierender Blick, der sprunghaft wechselt und somit die Lebens-Szenerien knapp geschnitten nebeneinanderhält, bekommt hier eine soziologische Komponente. Kritiker und Autor werden zu Akteuren ihrer Zeit, der große Reich-Ranicki zu einem sich im Keller vor den Nazis versteckt haltenden Flüchtigen, Grass zu einem mit 17 Jahren zur Waffen-SS berufenen Soldaten. Die Schwere ihrer Namen ist hier noch nicht präsent.

"Mein lieber Günter Grass..."

Ein Zeitsprung in das Jahr 1959. Marcel Reich-Ranicki, der mittlerweile als Literaturkritiker bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung arbeitet, verreißt Grass´ersten Roman Die Blechtrommel in einem Beitrag in der Zeit. Es wird dies nicht der letzte Verriss bleiben. Auch Grass´ letzter großer Roman Ein weites Feld wird vom Kritiker vernichtet, so wie viele andere Werke dazwischen auch. Ranicki, der sich immer für eine klare und deutliche Sprache des Kritikers stark machte, nimmt kein Blatt vor den Mund. Über den Roman Ein weites Feld schreibt er etwa: "ganz und gar mißlungen". Es wäre wohl einfacher, man würde versuchen, die wenigen Grass-Werke aufzuzählen, die nicht unter dem Stift Ranickis verissen wurden. Die Erzählung "Katz und Maus" etwa, oder die Gedichte, die von Seiten des Kritikers immer wieder gelobt wurden. Grass, so sagte Reich-Ranicki einmal, sei ein unterschätzter Lyriker. Doch nicht viel später: "Die Romane wollen wir ihm verzeien".

Grass antwortet. Reich-Ranicki sei über den sozialistischen Realismus, den er in Warschau kennengelernt und von dort her mitgebracht habe, nie hinausgekommen. Es beginnt ein literarischer Schlagabtausch, es beginnt "Das Duell", welches Volker Weidermann hier in Szene setzt. Doch ist dies mehr als nur die Geschichte zweier aufeinandertreffender Männer-Egos, die sich von ihrem Kontrahenten gekränkt fühlen und sich genötigt sehen zurückzuschlagen. Es ist auch (und vielleicht vor allem?) die Geschichte der deutsch-jüdischen Beziehung, die hier mitschwingt; ein äußerst angespanntes, prekäres Verhältnis, welches auf dem Boden der Literatur (weiter)ausgehandelt wird. Es sind gerade die Vorgeschichten - der SS-Soldat aus Danzig und der warschauer Ghetto-Jude - der beiden Akteuere, die ihre Beziehung nicht unberührt lassen.

Ein unversöhnliches Ende

Bis zum Tod blieb diese innige Feinschaft zwischen Kritiker und Autor bestehen. Gewonnen hat niemand; das letzte Wort, schreibt Volkermann, hatte Grass, der anderhalb Jahre nach Reich-Ranicki verstarb. In Erinnerung geblieben ist die Geschichte einer Beziehung, in der sich beide Parteien immer wieder den Tod wünschten. Dieses kompromisslose "Duell" festzuhalten, gelang Volker Weidermann, der heut die von Reich-Ranicki ins Leben gerufene Sendung " Das Literarische Quartett" leitet, sehr gut. Im Literatur-Betrieb, möchte man meinen, geht es derzeit versöhnlicher zu. Oder aber: Es fehlt eine direkte Sprache, der Mut zur offenen Kritik, und das Wagnis zur Unversöhnlichkeit.


Volker Weidermann: "Das Duell", Kiepenheuer & Witsch, 2019, 320 Seiten, 22 Euro

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