Armin Nassehi - Muster: Theorie der digitalen Gesellschaft War die Gesellschaft schon digital, bevor es die Digitaltechnik gab?

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In seinem neuen Buch "Muster: Theorie der digitalen Gesellschaft" betrachtet der Soziologieprofessor Armin Nassehi die Digitalisierung unter einem etwas anderen Gesichtpunkt. Anstatt mit der Frage zu beginnen, wie weitläufig die neuen Techniken unsere Gesellschaft verändern könnten, fragt Nassehi danach, warum sie so problemlos "andocken" konnten.

Warum lassen sich die digitale Entwicklungen so problemlos in unsere Gesellschaft einführen? Dieser Frage geht Armin Nassehi in seinem Buch "Muster" nach. Foto: C.H. Beck

"Ist die Welt beschleunigter geworden weil es die Digitalisierung gibt, oder braucht diese beschleunigte Welt womöglich Techniken wie die Digitalisierung?" fragt Armin Nassehi in einem Gespräch mit Wolfram Eilenberger. Es ist diese Offenheit zum Perspektivwechsel, der sich leitfadenartig durch sein neues Buch "Muster" zieht und das Fragen dort ansetzt, wo man es bisher weitläufig ausließ.

Die digitale Gesellschaft vor der Digitaltechnik

Wenn wir über die - technisch bedingten - Veränderungen unserer zukünftigen Welt sprechen, geht es zumeist um präzise, von außen her auf die Gesellschaft wirkende Eingriffe und Veränderungen. Roboter die unsere Arbeit übernhemen, selbstfahrende Autos, womögliche Marktmonopole etc. Für Armin Nassehi sind diese Veränderungen allerdings bereits der zweite Schritt. Zuvor müsse man danach fragen, warum diese neuen Digitaltechniken so problemlos in einer Gesellschaft aufgenommen und eingeführt werden konnten/können. Womöglich ist die Digitaltechnik gar kein neues "Muster", nur eine anderem Art der Bedienung desselben.

"Die Digitalisierung ist fremd, weil sie in einer Radikalität auf das Vertraute verweist wie man es zuvor nicht kannte." (Armin Nassehi - "Muster: Theorie der digitalen Gesellschaft")

Die Veränderungen und ihre Verweise sind also in dem Sinne nichts Neues, erscheinen aber offensichtlich in einem neuen Licht. Vor allem die Geschwindigkeit und die öffentliche Zugänglichkeit zu den dieversen Prozessen sind Gründe für diese - oft mit Panik verbundene - Wahrnehmung. Nassehi führt uns zurück ins 19. Jahrhundert, und zeigt, dass das erheben von Sozialstatisiken, Verhaltensmuster und Regelmäßigkeiten keineswegs "neuen Techniken" sind, sondern bereits im vorherigen Jahrhundert unternommen wurden. Ein "Muster" eben, welches durch die technischen Erneuerungen nur in einer perfektionierteren Art und Weise verfolgt wird.

Neue Errungenschaft, neue Probleme

Im Grunde auch keine Neuigkeit ist, dass gesellschaftliche Umbrüche neue Probleme mit sich bringen. Und so natürlich auch die digitale Revolution. Hier weist der Soziologe darauf hin, dass wir zukünftig vor allem „intelligentere Steuerungs- und Beobachtungsformen“ brauchen.

Am Thema der Datenerhebung verdeutlicht er eines dieser neuen Probleme. Der große Unterschied zwischen früheren Datenerhebungs-Systemen und heutigen sei der, dass nun Daten ausgewertet werden, die nicht für einen klar genannten Zweck erhoben wurden. Datenströme werden zu Informationen, die erst im nachhinein für bestimmten Zwecke verwendet werden, ohne das die "Verbraucher" von diesen Kenntnis nehmen können. Solcherlei Entwicklungen seien durchaus zu kritisieren, meint Nassehi, stellt zugleich aber die Frage nach der Möglichkeit eines kritischen Eingreifens. Denn da diese Eingriffe mit großer Wahrscheinlichkeit wiederum digitale Vorgänge benötigen, wird sich der Lösungsansatz auf dem selben Tablou befinden, wo auch das zu lösende Problem liegt. Der Lösungansatz wird also seinerseits Spuren, d.h. Daten hinterlassen.

Es führen also weder Wege ans Digitale vorbei, noch raus. Eine daraus folgende Errungenschaft - wenn man so will - liegt für Nassehi darin, dass er in der Digitalisierung das Potenzial einer Wiedergeburt der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften sieht. Schließlich war es immer schon ein wichtiger Aspekt dieser Diziplinen, "Muster" zu erkennen und zu erforschen.


Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. C. H. Beck, 352 S., 24 €.


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