Kulturinstitutionen dürften mit Sorge auf die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg schauen. Die AfD, deren kulturpolitischer Sprecher Marc Jongen bereits im Frühjahr 2017 ankündigte, es wird ihm "eine Freude sein, die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen", konnte, wie erwartet, weitere Gewinne verzeichnen. Es geht auch um die Kunstfreiheit!
Es ist kein Zufall, dass sich demokratiefeindliche Regime innerhalb ihrer ersten Amtshandlungen immer um die Kultur "kümmerten". Sortiervorgänge, Ausweisungen, weitläufige Verbote und Verschmähungen ("Entartete Kunst") waren und sind in diesen Vorgängen stets an der Tagesordnung gewesen. Zu groß ist die Angst vor der künstlerischen Vielfalt. Denn diese Vielfalt zuzulassen bedeutet auch, jenen Werken Platz zu bieten, die nicht dem ideologischen Muster der jeweiligen Machthabenden entsprechen. Da Kunst in der Lage ist zu mobilisieren und ein Umdenken zu fördern - generell ein Denken bzw Nachdenken - ist sie auch in der Lage, politische Strategien zu entlarven und ihre Strategen ins Wanken zu bringen.
"Deutsche Leitkultur"
Im Januar 2017 sagte der kulturpolitische Sprecher der AfD: „Es wird mir eine Freude sein, die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen.“. Diese "Entsiffung" hat, zumindest partiell, bereits begonnen. So ließ die Partei zuletzt die Nationalitäten der am Stuttgarter Staatstheater beschäftigten KünstlerInnen überprüfen. Eine Aktion im Namen des Kampfes gegen die "Ideologie des Multikulturalismus", die laut der Partei eine Gefährdung der "deutschen Leitkultur" darstellt.
Was genau aber ist diese "deutsche Leitkultur" bei der AfD? In ihrem Programm bekennt sie sich zu den Werten "des Christentums, der Antike, des Humanismus und der Aufklärung". Zum Teil sind das Begriffe, die maßgeblich geprägt und definiert wurden von Menschen, die ihr Stimme, hätten sie die Wahl gehabt, wohl kaum einer rechtspopulitischen Partei gegeben hätten. Ist es doch ein zentrales Kennzeichen der Aufklärung, den Mut aufzubringen, sich von alten und überholten Konzepten zu verabschieden. Zuletzt taten dies wohl die Theoretiker der Postmoderne, indem sie - ausgerechnet - den Prinzipien der Aufklärung skeptische gegenüberstanden.
Die Deutsche Literatur
Zurück zur "Entsiffung" des Kulturbetriebs, die schleichend ihren Lauf nimmt. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Wirft man einen Blick auf deutschsprachige AutorenInnen, die vor und während der Zeit des Nationalsozialismus wirkten, so fällt einem schnell das große Unverständnis auf, mit dem diese auf ihre Mitstreiter blickten. Da wäre Stefan Zweig, der sich, wie viele seiner KollegInnen, mit Entsetzen darüber äußerte, dass der Zuspruch zu einem offensichtlich menschenverachtenden Regime nicht nur von Seiten der breiten Arbeitermasse ausging, sondern ebenso von GeschichtsprofessorInnen und AkademikerInnen. In den Aufzeichnungen Viktor Klemperers zeigt sich eine ähnliche Bestürztheit. In einem Tagebucheintrag heißt es:
"Wenn es einmal anders käme und das Schicksal der Besiegten läge in meiner Hand, so ließe ich alles Volk laufen und sogar etliche von den Führern, die es vielleicht doch ehrlich gemeint haben könnten und nicht wußten, was sie taten. Aber die Intellektuellen ließe ich alle aufhängen, und die Professoren einen Meter höher als die andern; sie müßten an den Laternen hängen bleiben, solange es sich irgend mit der Hygiene vertrüge." (Quelle: Wikiquote)
Damit waren all jene Intellektuellen und Professoren gemeint, die damals zunehmend nach rechts kippten, ohne zu bemerken, dass ihre - vielleicht tatsächlich humanistischen und aufklärerischen - Ideale ideologisch unterwandert wurden. Begriffe können geleert und neu gefüllt-werden, Signifikate sind variabel. Aus dem Begriff "Humanismus" kann man eine "multikulturelle" Akzeptanz ohne weiteres herausstreichen und ersetzen. Seit einiger Zeit werden wir wieder Zeuge solch weitläufiger Zeichenverdrehungen von Seiten rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien, denen man nur allzu schnell zum Opfer fallen kann. (Im Übrigen, das soll nicht unerwähnt bleiben, geschieht genau das selbe auf der linken Seiten).
Keine Subventionen für Internationale Projekte
Die AfD spricht eine klare Sprache, wenn es um die Förderung von Kultur-Projekten geht, die einen internationalen Anspruch haben. Keine Unterstützung für das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen, kein Geld für das soziokulturelle Theaterhaus, kein Geld für die Mannheimer Pop-Akademie, an der Weltmusik unterrichtet wird. Dies alles sind erste Anzeichen der politischen und gesellschaftlichen Hermetisierung. Entwicklungen, die einer humanistischen Weltanschauung zuwiderlaufen, sich vielleicht sogar entgegen jeglicher Anschauung, jeglicher Sicht auf die Welt bewegen. Wenn der Blick begrenzt wird, wird Weitsichtigkeit zu einem Tabu. Kein Künstler, keine Künstlerin, keine sich ihrem Bildungsauftrag bewusste Kulturinstitution kann das wollen.
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