Die Sache mit dem Rohrreiniger

Vorlesen

Ich würde gerne in einer Welt leben, in der Abflussreiniger tatsächlich den Abfluss reinigen. In der Produkte, auf denen deutlich "Rohrreiniger" geschrieben steht, dafür sorgen, dass die Rohre tatsächlich von Dreck und Kalk befreit werden. Aber der Abfluss bleibt verstopft. Das Rohr verdreckt. Auf dem Rohrreiniger steht: "Einfach in den Abfluss gießen, und über Nacht einwirken lassen" und ich goss den Reiniger in den Abfluss und ließ ihn über Nacht einwirken. Am nächsten Morgen hatte sich nichts geändert. Rückblickend glaube ich sogar - ich bin überzeugt davon - dass sich der Zustand des Rohres durch die Anwendung des Rohrreinigers verschlimmert hatte, dass der Rohrreiniger das Rohr also tatsächlich zusätzlich verstopfte, das Rohr nicht reinigte, sondern verdichtete. Der Reiniger muss im Rohr auf Dreck und Kalk gestoßen sein, und sich ohne Weiteres auf diesen Dreck und Kalk abgelegt haben. Er musste sich mit dem, was er zu bekämpfen hatte, angefreundet, verbündet haben. Dieses Anfreunden mit dem Dreck aber, diese vollkommen entgegengesetzte Wirkung, war nicht das letzte Problem, welches mir der Rohrreiniger bescheren sollte. Neben dem zusätzlichen Verstopfen des Abflusses durch die Anwendung des Abflussreinigers, sorgte der Abflussreiniger darüber hinaus dazu, dass ich, von einem nächtlichen Durst getrieben, meinen in diesen Fällen üblichen Weg zum Wasserhahn im Bad nicht gehen konnte, da der "Wasserhahn während der Einwirkzeit bitte nicht" betätigt werden durfte. Im Halbschlaf und vom Durst getrieben bewegte ich mich natürlich dennoch, instiktiv sozusagen, in Richtung des Bades, bis mir, kurz vor der Badtür, der vom Rohrreiniger ausgesprochene Wasserhahn-Verbot wieder in den Sinn kam, und ich schließlich in die Küche ging.

Selbstverständlich konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass es sich bei der "Wirkzeit" des Abflussreinigers um eine Wirkzeit im negativen Sinne handelt. Hätte ich gewusst, dass der Abflussreiniger meinen Ablfuss weiterhin verstopft, hätte ich den Wasserhahn im Bad natürlich betätigt, um noch schlimmeren Schaden abzuwenden. In der Hoffnung, meinen Abfluss vor dem durch den Rohrreiniger verursachten zusätzlichen Schaden zu bewahren, hätte ich das Wasser aus dem Bad-Wasserhahn mit dem größten Genuss getrunken. Doch im naiven Glauben, mein Abfluss würde am nächsten Tag wieder befreit sein, trank ich nicht, folgte den Anweisungen und ging also in die Küche.

Nach dem Abflusstest heute morgen, dessen Ergebnis der zusätzlich verstopfte Abfluss war, musste ich mir unweigerlich die, zugegeben naive, Frage stellen, wie sich diese Billig-Reiniger im Verkauf halten können. Ich fragte mich, wie viel Abflüsse sie noch verstopfen, wie viel Haushalte sie noch ruinieren, wie viel von verstopften Abflüssen geplagte Menschen sie noch enttäuschen müssen, um endlich aus dieser Welt zu verschwinden. Oder gab es womöglich Personen, die zufrieden mit dem Ergebnis des Reinigers waren? Gab es eventuell glückliche Zufälle, in denen sich die Rohre, auch ohne Zutun des Rohrreinigers, über Nacht ganz von selbst befreit hätten, dieses Befreien nun aber dem Rohrreinier zugeschrieben wurde? Und während ich vor dem Waschbecken in meinem Bad stand und mir diese Fragen zu stellen begann, erwischte ich mich dabei, wie ich völlig geistesabwesend den gesamten Abflussreiniger in das Waschbecken goss. Noch bevor die Flasche zur Hälfte geleert war sah ich, wie sich das gesamte Waschbecken mit Abflussreiniger füllte; ein ganzer See aus Abflussreiniger, der mich so wütend machte, dass ich, nun beinahe in Raserei, zusätzlich den Wasserhahn aufdrehte und also Wasser und Abflussreiniger gemeinsam in den Waschbecken-See plätschern ließ. Den Reiniger geleert ließ ich das Wasser weiterhin laufen und vertiefte mich darin, wie der klare Wasserstrahl in diesen chemischen See eindrang, und sich in allen Richtungen verteilende Wasserbläschen bildete.

Gefällt mir
6

Hier bestellen

 

Weitere Freie Texte

Freie Texte

Fiona: Hoffnung

FIONA

Die Hoffnung klopft, so zaghaft sacht, doch bricht sie jedes Mal bei Nacht. Auch wenn sie den tag über nur lacht Hält sie der gedanke trotzdem die ganze Nacht wach Es wird bestimmt klappen Und ich kann es auch schaffen Und ich werde mich auch trauen, ... doch ... ich könnte es auch versauen Die Hoffnung, einst so zart und klein, ertrank in Tränen, kalt und rein. Sie fragt nicht mehr, warum, wofür, denn jede Antwort schweigt in ihr. Hoffnung nur ein positives Gefühl Sie glaubte daran doch dass ...
lesering
Freie Texte

Die Sehnsucht. Pindars Ode

Paweł Markiewicz

Du wie die Träumerei geboren von dionysischen Oden wie zarter Tag in deinem Wind – verzaubertem Schmetterling so wie das Goldene Vlies – zauberisch in der anmutigen Phantasie graziöses Paradies verloren ist doch gefunden und so schwärmerisch Du lotos-zärtlicher Tagfalter du – über den Vulkanen mit sanfter Flügel-Verzaubertheit verewigt in den Zeiten Ich möchte sein wie Du und ewige dankende Augen ein Heer der Gefühle scheint in fernen Mythen Ländern Ich wäre linder und unendlich wunderbar wie ...
lesering
Freie Texte

Irena Habalik: Hinter den geschlossenen Türen

Irena Habalik

werden die Gabeln poliert für die nächste Zugabe wird Posaune geübt für das Jüngste Gericht zu große Brust flach gelegt und geschmeckt zu kleiner Kopf in den Topf gesteckt wird laut diskutiert über die Abwesenheit der Milch wird geklagt über das Nachlassen der Schwerkraft Hinter den geschlossenen Türen wird die Liebe kalt begossen werden die Messer gewetzt, in die Tasche gesteckt die Unwahrheiten serviert zu den Mahlzeiten wird Brecht zitiert und Benn applaudiert das Perverse wird hier probiert ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Maxima Markl: Zeit

Maxima Markl

Ich schaue auf die Uhr vor, nach und während einer Tat die Zeit vergeht wenn ich nicht hinschaue Das Ticken einer Uhr ein Herzschlag Bist du tot, bleibt die Zeit für dich stehen Du veränderst dich nicht Bleibst gleich Bis die Zeit alle geholt hat Die sich an dich erinnerten Und die Uhr tickt weiter Früher gab es keine Uhr Keine Zeit Die Tage verschmolzen ineinander Aber es gab auch keine Tage Nur hell und dunkel War die Zeit dazwischen Sie floss wild Ungebändigt Und doch so stetig Bis man ihr ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Gabriele Ejupi: Die Last

Gabriele Ejupi

Der Schnee lastet schwer auf den Zweigen. Sie senken sich unter dem Druck, geben nach, verlieren ihren Widerstand. So lastet auch die Bürde des Lebens auf unseren Schultern, und auch wir geben nach, gehen nicht mehr so aufrecht wie einst. Wir versuchen, einiges abzuschütteln, die Last zu vermindern, sie in eine weit entfernte Ecke zu schieben. War es wirklich wichtig? Nicht alles verdient es, bis ans Ende unserer Tage getragen zu werden. Erinnerungen verblassen, und mit ihnen wird die Last ...
Freie Texte Freie Texte lesering
Freie Texte

Martin Neuhold:Lautlos

Martin Neuhold

Andere zerbrechen laut, und die Welt hält inne, reicht Hände, flüstert Trost. Ich zerbreche nach innen, schichtweise, lautlos, wie Holz, das von innen fault, bis nur noch die Hülle bleibt – aufrecht, unauffällig, brauchbar. Manchmal wünsche ich mir, zu schreien, zu explodieren, sichtbar zu sein im Splittern und Bersten. Aber ich bleibe still, wie immer, und funktioniere weiter, während mein Herz im Verborgenen zu Staub zerfällt.

Aktuelles