1865 erschien Jule Vernes Roman "Von der Erde zum Mond", 1870 dann die Fortsetzung "Reise zum Mond". In diesen Frühwerken des Science-Ficton-Genres wird die Monfahrt um etwa hundert Jahre vorweggenommen. Einige Details erscheinen aus heutiger Sicht nahezu prophetisch.
Nicht selten stellt man fest, dass Literaten in ihren Geschichten vorwegnahmen, was viele Jahre später, in leicht abgeänderter Form, tatsächlich eintrat. Der von Orwell in seinem Roman "1984" beschriebene Überwachungsstaat ist ein gutes Beispiel dafür. Auch wenn wir bereits ewas überfällig sind, geben wir uns alle Mühe, diese Dystopie endlich Realität werden zu lassen. Ein anderes, und gegenwärtig - wo wir 50 Jahre Mondlandung feier - wieder aktuelles Beispiel ist die von Jule Verne im Jahre 1865 vorgedachte Mondfahrt. In seinem Roman "Von der Erde zum Mond" beschreibt Verne die Vorbereitungen, sowie die technischen und physikalischen Modalitäten einer solchen Reise. Einige seiner Vorstellungen sollten sich, etwa hundert Jahre später, bestätigen.
"Von der Erde zum Mond"
Vernes Geschichte spielt in der Zeit nach dem amerikansichen Bürgerkrieg, der von 1861 bis 1865 andauerte. Ein sich aus Spezialisten für Geschütze zusammensetzender Kanonenclub fühlt sich nach der Beendigung des Krieges nicht ausgelastet, und ist auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld. Nach einigen Überlegungen beschließ man, mittels einer Kanone ein Geschoss von der Erde zum Mond zu schicken. Der Kanonenclub nimmt wieder seine Arbeit auf, entwickelt und entwirft eine Kanone, die eine entsprechende Geschwindigkeit und Flugdauer des Gescchosses gewährleisten kann.
Als geeigneter Abschussort wird der Bundesstaat Florida genannt, ein Punkt, der sich nahe am Äquator befindet. Das Projekt erregt immer mehr Aufsehen und findet bald schon Befürworter und Unterstützer in der ganzen Welt. Der Protagonist Michel Ardan tritt auf dem Plan, und mit ihm die Idee, anstatt einer Kugel, ein zylindrisches-konisches Geschoss zu entwerfen, mit dem er selbst, Adran, als Passagier zum Mond fliegen will.
Das Projekt nimmt seinen Lauf, eine geeignete Vorrichtung wird gebaut, und schließlich findet der Abschuss mit insgesamt drei Passagieren (zwei Amerikaner und ein Franzose) und zwei Hunden statt. Allerdings verfehlt das Geschoss den Mond und umkreist ihn nur. Auf der Rückseite, im Mondschatten, sinkt die Temperatur unterträglich tief. Nachdem die Bahn die Reisenden wieder auf die Vorderseite führt, fallen sie wieder zur Erde zurück und landen im Pazifik.
Übereinstimmungen?
Einige von Jule Verne beschriebene Details finden sich im Prozedere der etwa hundert Jahre später stattfindenen Mondfahrt wieder. So zum Beisiel der Standort Florida, der tatsächlich als Startpunkt gewählt wurde. Vernes dachte allerings, dass der damit einhergehende Vorteil damit zu begründen ist, dass der Mond dort im Zenit stehen kann. Das ist falsch. Der Vorteil besteht darin, dass nahe am Äquator die Geschwindigkeit der Erdrotation am größten ist.
Natürlich wurde aus der bei Verne erbauten und verwendeten Kanone eine Rakete. Das im Roman beschriebene Geschoss hätte die Reisenden während des Startes mit Sicherheit umgebracht. Allerdings dachte auch Verne bereits über Raketen als möglichen Antrieb nach. Weshalb es bei der Kanone geblieben ist, lässt sich nur mutmaßen. Ein wesentlicher Punkt könnte gewesen sein, dass sich Verne in seinen Erzählungen deutlich über die amerikansiche Kriegs- und Kanonenlust lustig machen wollte.
Überraschend genau sind die Beschreibeungen der Mondoberfläche. Hier wird bereits in Erwägung gezogen, dass die Mondkrater Resultate von Asteroiden- oder Komenteneinschläge sind. Im Vordergrund steht bei Verne allerdings die Vorstellung erloschener Vulkane. Dies entsprach dem Stand der Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Erst die Apollo-Fahrten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten diese Vorstellungen widerlegen.
Sowohl bei Verne als auch bei den Apollo-Flügen landeten die Kapseln im Pazifik. Der einzige Unterschied hierbei ist, dass die Bergung der schwimmenden Kapsel bei Verne wesentlich länger dauerte, als es bei den Apollo-Flügen der Fall gewesen ist.
Nachkriegszeit - Eine andere Art der Prophezeiung
Auch wenn man den amerikanischen Bürgerkrieg nicht mit dem 2. Weltkrieg gleichsetzen kann, ist es doch möglich, zumindest in dem Nachkriegsdilemma (eine gewisse Aufrüstungssucht, und ein daruas resultierender, schwachsinniger Wettstreit) ein wichtiges, historisches Motiv zu erkennen, welches gewisse Übereinstimmungen findet. Bei Verne ist es die Langeweile (die Desillusion?) die den Kanonenclub dazu antreibt, eine möglichst große, gewaltige Kanonen zu bauen. Der Autor verwies hier mit Sicherheit auf eine amerikansiche Repräsentationslust. Und ist es nicht möglich, diese - militante - Repräsentationslust auf die Zeit des Kalten Krieges zu übertragen?
So gelangt man schließlich zu einem Punkt, an dem die Mondlandung - und dies scheint mir plausibel - lediglich ein Mittel ist, welches im Zeichen anderer Absichten steht. Eine Prophezeiung ist dies nicht. Nur eine kleine Einsicht darin, wie wenig sich in hundert Jahren bezüglich gewisser Machtdemonstrationen ändern kann.
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Schriftsteller Hervé Le Tellier erhält die bedeutendste Literaturauszeichnung Frankreichs
Ian McEwan: Vom "Beginn eines neuen Zeitalters"
Das Literarische Quartett: Mit Eva Menasse, Vea Kaiser und Götz Alsmann
„Druckfrisch“ mit Denis Scheck: Benedict Wells und Helga Schubert zu Gast
Die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse stehen fest
SPIEGEL Bestseller Update: Juli Zeh steigt mit "Über Menschen" auf Platz 2 ein
"Das Literarische Quartett" am 9. April mit Dörte Hansen, Marko Martin und Moritz von Uslar
"Druckfrisch" mit Denis Scheck: Über sprechende Besen und Autobahnraststätten
Neuer Literaturkanal startet am 18. März auf YouTube
SPIEGEL Bestseller: Benedict Wells und MontanaBlack auf Platz 1
MDR-Kultur: Jutta Hofmann liest Brigitte Reimann
NWZ-Leselounge: Klaus-Peter Wolf liest aus seinem aktuellen Bestseller "Ostfriesenzorn"
SPIEGEL Bestseller: Susanne Mierau und Klaus-Peter Wolf sichern sich Spitzenplätze
Verstoßene und Flaneure: Das bringt Suhrkamp im März
Quentin Tarantino schreibt jetzt Romane
Aktuelles
„Die Hüter der Sieben Artefakte“ von Christian Dölder – Wie ein Fantasyepos die klassischen Regeln neu schreibt
„Blood of Hercules“ von Jasmine Mas – Dark Romantasy trifft Mythos und Macht
„Nebel und Feuer“ von Katja Riemann – Wie vier Frauen inmitten der Krisen unserer Zeit Gemeinschaft, Mut und Sinn finden
Der Pinguin meines Lebens – von Tom Michell - Buch & Filmstart 2025: Rezension einer besonderen Freundschaft
„Mama, bitte lern Deutsch“ von Tahsim Durgun – TikTok trifft Literatur
"The Loop – Das Ende der Menschlichkeit“ von Ben Oliver: Was passiert, wenn Künstliche Intelligenz den Wert des Lebens bestimmt?
„Déjà-vu“ von Martin Walker – Brunos siebzehnter Fall und die Schatten der Geschichte
„Der Besuch der alten Dame“ – Wie Dürrenmatts Klassiker den Preis der Moral entlarvt
„Der Hundebeschützer“ von Bruno Jelovic – Wie aus einem Fitnessmodel ein Lebensretter für Straßenhunde wurde
Für Martin Suter Fans: „Wut und Liebe“ -Wenn Gefühle nicht reichen und Geld alles verändert
„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ – Warum Andreas Steinhöfels Kinderbuchklassiker so klug, witzig und zeitlos ist
Abschied: Peter von Matt ist tot
„Hoffe: Die Autobiografie“ von Papst Franziskus – Was sein Leben über die Welt von heute erzählt
„Hunger und Zorn“ von Alice Renard – Was der stille Debütroman über Einsamkeit und Empathie erzählt
»Gnade Gott dem untergeordneten Organ« – Tucholskys kleine Anatomie der Macht
Rezensionen
„Der Gesang der Flusskrebse“ – Delia Owens’ poetisches Debüt über Einsamkeit, Natur und das Recht auf Zugehörigkeit
„Der Duft des Wals“ – Paul Rubans präziser Roman über den langsamen Zerfall einer Ehe inmitten von Tropenhitze und Verwesungsgeruch
„Die Richtige“ von Martin Mosebach: Kunst, Kontrolle und die Macht des Blicks
„Das Band, das uns hält“ – Kent Harufs stilles Meisterwerk über Pflicht, Verzicht und stille Größe
„Die Möglichkeit von Glück“ – Anne Rabes kraftvolles Debüt über Schweigen, Schuld und Aufbruch
Für Polina – Takis Würgers melancholische Rückkehr zu den Ursprüngen
„Nightfall“ von Penelope Douglas – Wenn Dunkelheit Verlangen weckt
„Bound by Flames“ von Liane Mars – Wenn Magie auf Leidenschaft trifft
„Letztes Kapitel: Mord“ von Maxime Girardeau – Ein raffinierter Thriller mit literarischer Note
Good Girl von Aria Aber – eine Geschichte aus dem Off der Gesellschaft
Guadalupe Nettel: Die Tochter
„Größtenteils heldenhaft“ von Anna Burns – Wenn Geschichte leise Helden findet
Ein grünes Licht im Rückspiegel – „Der große Gatsby“ 100 Jahre später
"Neanderthal" von Jens Lubbadeh – Zwischen Wissenschaft, Spannung und ethischen Abgründen
