Sie ist Musikerin, Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin und Fotografin. Nun hat die "Godmother of Punk" Patti Smith (Patricia Lee Smith) im Alter von 72 Jahren ihr erstes fiktionales Prosawerk geschrieben. Das Buch "Hingabe", ist gerade auf Deutsch erschienen. Smith erzählt darin unter anderem von einer obsessiven Eiskunstläuferin.
Patti Smith: Obsessives Eiskunstlaufen
Eigentlich wollte Patti Smith Dichterin werden. Da kam ihr 1970 allerdings die Rockkarriere dazwischen, und mit ihr ein unwahrscheinlich rasanter Aufstieg zur "Godmother of Punk". Nachdem sie den Musikkollegen und späteren Ehemann Fred Sonic Smith kennenlernte, unterbrach die Rock-Ikone ihre Karriere. Nach einer beinahe zehnjährigen "Baby- und Familienpause" erfolgte 1988 dann der Comeback-Anlauf mit dem Album "Dream of Life", der jedoch durch den Tod ihres Mannes (1994) gebremst wurde. Anschließend wieder Rückzug. 2010 erschien dann die Autobiografie "Just Kids" in der Lyrikerin ihr bewegtes Leben darstellte. Nun ist ihr erstes fiktional-erzählerisches Werk mit dem Titel "Hingabe" erschienen.
Hingabe
Das Buch ist in vier Kapitel untergliedert: "Wie der Verstand funktioniert", "Hingabe", "Ein Traum ist kein Traum" und "Written on a Train". Hierbei ist das Titelgebene Kapitel "Hingabe" besonders herauszuheben, da dieses die erste wirklich fiktionale Erzählung von Patti Smith ist. Es handelt sich um die Geschichte der Eisläuferin Eugenia, die gerade 16 Jahre als ist, als sie, Mitte der 1950er-Jahre, eine Beziehung mit dem mehr als doppelt so alten Kunsthändler Alexander Rifa beginnt. Riva ist Diplomatenkind, Eugina die Tochter eines estnischen Paares. Ihre Eltern wurden 1940 nach Sibirien deportiert, dank der Hilfe ihrer Tante konnte Eugina gerettet werden und wuchs in der Schweiz auf.
Unter dem Titel "Sibirische Blumen" beginnt sie zunächst Gedichte zu schrieiben. Doch längst kündigt sich eine andere Obsession an: das Eislaufen. "Jedes Jahr fürchtete sie die Ankunft des Frühlings. Das Eis unter ihren Füßen wurde dann rissig und die Oberfläche brüchig: als wäre ein Handspiegel auf einen Marmorboden gefallen. Nur noch ein kleines bisschen länger, beschwor sie die Natur, nur eine Woche, ein paar Tage, noch ein paar Stunden. Sie kniete auf dem Eis. Noch war es nicht gefährlich, aber bald."
Erinnerungsreisen und Reisen
So beschreibt Smith allegorisch Auf- und Abstieg, brüchige Zeiten, die vergehen, Erinnerungen, die man versucht zu bewahren, da sie nur allzu schnell durch die Finger fließen, entrinnen könnten. Wenn auch fiktional geschrieben, so bleibt es doch bei der biografischen Betrachtung. Umrandet wird die Erzählung "Hingabe" dann auch tatsächlich von essayistischen und biografischen Arbeiten, die beinahe als Fußnoten zur Fiktion zu lesen sind.
Wieder verweisen uns die dargelegten Texte auf alte, verstorbene Helden. Die Erinnerungsreisen werden dabei zu realen Fahrten. Wir folgen Smith ins Paris von Patrick Modiano, ans Grab von Simone Weil nach England und ins Haus von Albert Camus nach Südfrankreich. Und ständig begleiten uns währenddessen die immer wieder einschlägigen Fragen: Warum, wozu schreiben. Wie schreiben? Was festhalten, wo weglassen?
"Warum fühlt man sich zum Schreiben berufen? Um sich abzusetzen, einzuspinnen, versunken in Einsamkeit, trotz der Bedürfnisse anderer. Virginia Woolf hatte ihr Zimmer. Proust seine verriegelten Fenster. Marguerite Duras ihr stummes Haus. Dylan Thomas seinen bescheidenen Schuppen. Alle wollten eine Leere mit Worten füllen."
Patti Smith - Hingabe, aus dem Amerikanischen von Birgitte Jakobeit, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, 144 Seiten, 18 Euro