Ein schmales Büchlein, 64 Seiten, mint-grünes Buchcover. Während die Welt sich aufbäumt, an allen Ecken Extreme entstehen und Menschen hier wie dort Position beziehen, erscheint mit dem Buch "Lob der Lauheit" des französischen Essayisten Phillipe Garnier eine Hymne auf die angenehme Mitte. Doch auch das Dazwischen ist eine Position.
Dies ist ein Buch für die Fraktion "Weder-Noch". Für Jene, die sich mit großer Freude dem Rauschen eines hochfahrenden Laptops, dem Aufkochen der Espresso-Maschine und dem stotternden Brummen eines - vor der Ampel zum stehen gekommenen - Autos hingeben können. Der Laptop, weder im Ruhezustand noch vollständig in Betrieb; der Kaffee schon fertig, doch noch nicht verzehrbar; das Auto, weder am Ziel angekommen noch vor der Haustür; dies sind die Nischen, in denen es sich der Laue bequem macht.
Wunderbare Müdigkeit
Was Phillipe Garnier seinen Lesern mit diesem kurzen Essay versucht näherzubringen, ist ein ästethischer Blick auf die Welt, ein Blick, der die Zwischenmomente zu schätzen weiß. Tatsächlich werden hier exakt jene Augenblicke glorifiziert, die im alltäglichen Lebensgewusel am schwersten zu ertragenen sind. Man ist weder in Arbeit versunken, noch sitzt man vor seinem Netflix auf der Couch. Stattdessen in der überfüllten Straßenbahn, die vom Verkehrschaos aufgehalten wird, so dass man fast schon dazu geneigt ist, zurück ins Büro zu flüchten. Eben diese Augenblicke weiß der Laue auszunutzen, sein Zuhause ist das Dazwischen. Apropos Arbeit:
"Manchmal scheint es, als wolle man uns gar nicht so sehr eine Arbeit ausführen lassen, sondern uns einfach nur müde machen. Das ist ein Glücksfall für uns und wahrscheinlich ein Irrtum jener, die uns beschäftigen und regieren. Ergreifen wir doch diese wunderbare Gelegenheit. Große Müdigkeit erwartet uns."
"Der Spaziergänger"
Der Spaziergänger (ein Kapitel des Buches) ist während des Wanderns "weder vollkommen zufrieden noch wirklich enttäuscht..." Sein Blick schweift abwechselnd zwischen Nah und Fern, seine Erwartungen werden nicht erfüllt. Doch offenbaren sich ihm stehts interessante Überraschungen, mit denen er sich zufrieden geben kann. So entflieht der Spaziergänger den Überinformationen, der Masse an Bilder und Zeichen, die pausenlos auf ihn einschlagen. Die Leiden der Überinformation auszuhalten, kommt für Garnier nicht in Frage. Er entzaubert den Mythos des Leidenden und ersetzt Nietzsches zum Sprichwort degenerierten Satz: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker" durch "Was mich nicht umbringt, bringt mich trotzdem um."
Niemand will leiden, und jene, dies es trotzdessen absichtlich tun, gehen daraus nun nicht länger als die Stärkeren hervor. Diese Umkehrung ist simpel und brilliant: Es gibt nun ganz einfach keinen guten Grund mehr, aus freien Stücken zu Leiden. Bliebe nur noch die Frage offen, wie ein freiwilliges Leiden von einem Unfreiwilligen zu unterscheiden ist. Im Einzelfall würde das wohl Schwierigkeiten bereiten.
Haltung!
"Lob der Lauheit" ist ganz gewiss ein zwiespältiges Buch. Denn einerseits ist es mit Sicherheit zu begrüßen, wenn Extremismen aller Art ein Stück weit entkräftet werden. Andererseits bedarf es in gewissen Bereichen unbedingt extremer Herangehensweisen, um zu bewegen, um umzuwerfen. Auch der Laue fordert ab und an solch einen Umbruch, doch wird er sein Vorhaben auf halber Strecke wieder fallen lassen. Er ist der Inkonsequente, der Abschweifende; es widerspricht ihm, auf Biegen und Brechen irgendwo ankommen zu wollen. Dieses "Weder...noch" kann durchaus auch als Haltung verstanden werden. Und vielleicht ist es sogar die radikalste Ablehnung, die Ablehnung selbst abzulehnen. So schwebt der Laue irgendwo zwischen Nihilismus und Hedonismus und begegnet seinen Tagen mit einem wohltuenden "Jain".