Vor wenigen Wochen erschien das Buch "Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss" des Journalisten Alexander Kissler. In wenigen Tagen soll das Buch "Widerworte: Gedanken über Deutschland" der AFD-Politikerin Alice Weidel erscheinen. Zwei Bücher, ein Haupttitel. Ein Henne-Ei-Problem?
Der eine, Alexander Kissler, Kulturredakteur des konservativen Politmagazins "Cicero", beschäftigt sich in seinem Buch "Widerworte" mit den leeren Phrasen im politischen Raum, die er als "die Wackeldackel auf der Hutablage unserer Diskurswägen" bezeichnet. Der anderen, Alice Weider, AFD-Fraktionsvorsitzende, geht es in ihrem Buch "Widerworte" unter anderem um "Denkverbote", die von "vermeintlich überlegenen Moralisten" ausgesprochen werden. Fällt Ihnen etwas auf? Richtig: Es scheint fast so, als hätte jeder der Beiden ein Buch über die Arbeit des jeweils Anderen geschrieben. Umso schöner erscheint die Haupttitel-Dopplung: "Widerworte".
Henne oder Ei?
Das die Titel-Dopplung derzeit von Seiten des Gütersloher Verlages (bei dem Kisslers Buch erschienen ist) rechtlich geprüft wird, sollte Weidels Deutschlandvorstellungen nur noch stärker zementieren. Denn: Gäbe es ein Weidel-Deutschland ganz ohne "Denkverbote" von Seiten sich selbst ernannter, besserwissender Moralisten, dann wäre es dazu niemals gekommen. Dann gäbe es nämlich keine "Widerworte" eines Journalisten, dann gäbe es nur Weidels "Widerworte"... nicht einmal diese, die wären ja dann überflüssig... also: Dann gäbe es nur Weidel - "Worte" und kein Zuwider von außen, und also kein Buch mit dem Titel "Widerworte" beim Plassen Verlag.
Gäbe es allerdingst nur Weidel-Worte und kein Zuwider, gäbe es wiederum zu wenig Widerworte in der Politik, mit denen sich Journalisten wie Alexander Kissler beschäftigen könnten, um daraus ein Buch names "Widerworte" zu schreiben. Also, was war jetzt zuerst da, die Henne oder das Ei?
Widersprechen und Widerspruch
Das zwei - sich im Grunde antagonistisch gegenüberstehende - Bücher denselben Haupttitel tragen, ist ein interessantes Phänomen, welches auch auf die Interdependenz unserer Welt hinweist. Zunächst einmal: der Begriff "Widerworte" ist in beiden Fällen anders auszulegen. Wo Alice Weidel widersprechend Einspruch erhebt, kritisiert Kissler ein bedeutungsschwangeres In-Szene-Setzen nahezu bedeutungsloser Überzeugungen. Weidel widerspricht also von sich aus, während Kissler einen politischen Habitus kritisiert, in dem er einen Widerspruch entdeckt. Und hier treffen sich die Bücher nun, hier sind die in ihnen dargelegten Positionen aufeinander angewiesen und voneinander abhängig.
Diese Titel-Überschneidung ist ein Punkt, der die Möglichkeit einer Positionierung sowie die Möglichkeit ihrer Verteidigung aufzeigt. Wäre dies ein Kampf, würde ihn Kissler wahrscheinlich gewinnen. Er gefährdet diesen Punkt weniger. Sicher ist, dass beide Autoren aus ein und demselben Stand heraus damit beginnen, ihre "Widerworte" zu formulieren. Und es ist dieser Stand, der gewährleistet bleiben muss.
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