In Maruan Paschens Roman "Weihnachten" erzählt ein Mann vom Weihnachtsfest im Kreise seiner Familie. Sein Therapeut hört zu und schweigt.
Wie schön ist doch das alljährliche Zusammenkommen an den Weihnachtsfeiertagen. Wenn Speisen aufgetischt und Sitzplätze verteilt werden, man endlich wieder am Tische gegenübersitzt, und sich irgendwo zwischen "stiller" und "heiliger" Nacht zersplitterte Familienverhältnisse auftun.
Bilder der Vergangenheit
In Maruan Paschens "Weihnachten" erzählt der Protagonist (er trägt den selben Namen wie der Autor) seinem schweigsamen Therapeuten Dr. Gänsehaupt vom familiären Weihnachtsfest. Einmal jährlich trifft sich die sechsköpfige Familie - Maruan und Mutter gemeinsam mit deren vier Brüder Tarzan, Art, Otto und Berti - zum gemeinsamen Fondue-Essen in einer Hütte am See. Familiengespräche über Vergangenheit und Generationswechsel sind hierbei wichtiger als das gegenseitige Beschenken. Also beobachtet Maruan Paschen die Geschehnisse an und auf dem Tisch, und präsentiert uns ein szenisches Sammelsorium unterschiedlichster Familiengeschichten: Rituale, Eingebungen, aufblitzende Bilder, die den Erzähler in nostalgische Erinnerungen stürzen lassen.
Paschens Protagonist wird dabei von einzelnen Objekten und Szenen regelrecht eingenommen: Das weitergereichte Rindfleisch, der Rumtopf, der schweigend getrunken wird, das Besichtigen alter Fotografien - die Vorfahren in Wehrmachtsuniform - und die Schwierigkeiten, in der Familie darüber zu sprechen. Einige dieser Szenen führen den Erzähler zurück in die Zeit seiner Jugend, den neunziger Jahren, in denen die Farbe Grün plötzlich politisch und die Suppen "mit Eigelb gebunden wurden...". In einem anderen Kapitel erfahren wir mehr über Maruans Vater, der dem Sohn völlig unbekannt ist und dessen Geschichte von den Verwanten gepflegt und weitererzählt wird. Dann ist da die Geschichte von Onkel Art, der das Auto des Studienrats stahl, daraufhin festgenommen und bestraft wurde. Eine Anekdote, die gegen Ende auch zu einer Art Analyse der Nachkriegszeit wird.
Letztlich doch unheil
So reihen sich verschiedene Geschichten, diverse Lebensentwürfe aneinander, die letztlich das Gesamtbild einer Familie ergeben, die sich, wie jede andere auch, aus Protagonisten zusammensetzt, die allesamt ihre Fehler und Abgründe mit sich tragen: Eine irgendwo doch unheile Familie. Auch wenn die Frage nach Herkunft und Integration dabei immer wieder eine wichtige Rolle spielt, wird sie nicht zur Hauptfrage des Werkes erhoben. Diesbezüglich schreibt Paschen kein festlegendes, didaktisches Buch, sondern handelt die Thematik des "in Deutschland lebenden Arabers" in kurzen, aufschlussreichen Sequenzen ab. So gibt sich der Erzähler beispielsweise während eines Fluges nach Tripolis als Arzt aus, nur weil der Pilot in arabischer Sprache einen medizinischen Notfall meldet: "Ich wollte sagen: Ja, hier ist einer, der diese Sprache versteht. Hier ist einer, der in Deutschland lebt und diese Wörter versteht."
Zwischen all den dicht aufeinanderfolgenden Szenen, ist "Weihnachten" auch ein Buch der melancholischen Stille. Paschen schreibt phantasievoll, locker, oft ironisch. Metaphern steigern sich bis ins Wortwörtliche hinein (etwa dann, wenn die Familie sich - scheinbar grundlos - mittels Handschellen aneinanderkettet und den Schlüssel in den Fonduetopf wirft). Es sind gerade diese Bilder, die nicht nur die Experimentierfreudigkeit des Autors bezeugen, sondern darüberhinaus auch auf die bisweilen komsich verquere Ernsthaftigkeit solch familiärer Zusammenkünfte hinweisen.
Maruan Paschen, "Weihnachten", Matthes & Seitz; 196 Seiten, 20 €