Martin Walser - Spätdienst Ums Leben schreiben

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"Spätdienst" heißt das neue Werk Martin Walsers. Ein sich unermüdlich zur Wehr setzendes, lyrisches Ich. Und die Angst vor dem Schlaf. Quelle: Suhrkamp Verlag

Seinen ersten Roman "Ehen in Philippsburg" veröffentlichte Martin Walser 1957. Seitdem schreibt der nun 91-jährige Autor beinahe im Jahrestakt neue Bücher. Dieses Jahr sind es zwei: Im Frühjahr erschien der Roman Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte. Das neue Werk trägt den Titel Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung. Bissig, provokant, oft gegen sich selbst gerichtet, kommt hier das lyrische Ich eines Künstlers zu Wort, der um sein Leben zu schreiben scheint.

Gerade erst ist Spätdienst erschienen, da arbeitet Walser bereits an einem neuen Buch. Immer schon erschien dieser Autor rastlos, nun aber, wo seine Bücher schmaler, seine Zeilen aphoristischer, dichterischer werden, wird man zugleich den Eindruck nicht los, es ginge ihm um jeden einzelnen Satz. Bereits der Titel des neuen Buches lässt darauf schließen, wie Walser sich und seine Tätigkeit nunmehr sieht: "Es ist ja bei mir ziemlich spät, und dann hab ich eben zu diesem Wort Zuflucht genommen." erklärt er bezüglich des Titels "Spätdienst. Wörter als Zufluchtsorte, Verse, in denen man sich hüllen kann, "als wären es Schutzgewänder". Martin Walser schreibt sich zur Ruhe, er will sich nicht legen.

Lust am Text

Präsentiert werden uns in Spätdienst Textschnipsel und Stimmungsbilder eines hochbegabten Künstlers. Der Alltag eines Alter-Egos, welches zwischen Glück, Zweifel und Verzweifelung oszillisert. In diesen Bewegungen zwischen Hoch und Tief begriffen, scheint Walser immer wieder mit letzter Kraft nach schwirrenden Gedanken zu greifen, um diese erst niederzuschreiben und später auszudünnen. Es ist jene Lust am Text von der Roland Barthes sprach, die den Autor, Walser, zunehmend in die Position des Lesers drängt. Als dieser befindet er: "Ob Gedicht oder Prosa, das Prinzip ist eine Ausdrucksgelungenheit. Deshalb braucht man keine Handlung , sondern es muss sich lohnen, das zu lesen". Der Plot ist daher unnötig. Die Handlung muss nicht geschrieben werden, das Schreiben und Zerschreiben selbst ist zur Handlung geworden.

"Dein Feind ist ein guter Mensch, ein Mensch, dem man fast nichts vorwerfen kann. Er ist nicht makellos, aber seine Fehler sind so sehr durch seine Vorzüge bedingt, sind für sein allgemein anerkanntes und beliebtes Talent so ganz und gar notwendig, dass jeder bereit wäre, diese Fehler zu verteidigen, als wären’s seine eigenen; auch ich. Es ist also besser, ich hasse mich. Das wird mir leichter fallen." (Auszug aus Spätdienst)

Angriff und Müdigkeit

Walsers Angriffslust gegenüber Literaturkritikern hat auch in seinen späten Jahren um beinahe nichts nachgelassen. Immer wieder liest man bissige Vierzeiler, kurze Feuerstöße aus den aus Wörtern erbauten Verteidigungsanlagen des Autors. Nur die Müdigkeit scheint eben immer wieder durch. "Ohrenmüde", und sogar "beschimpfungsmüde" wird dieses wehrhafte Ich allmählich. Und diese Müdigkeit, begleitet von Fremdheit, Einsamkeit und Versäumnissen schreibt sich in die Zeilen ein.

Unterbrochen wird die Morbidität von kurzweiligen Glückmomenten, meist in der Natur. Das Sonnenlicht, der Herbst, der Regen. Ein Rauschen in den Bäumen, das nachlässt und die Vergänglichkeit ankündigt. Doch noch widerspricht Walser: "Ich sage dem Tod ins Gesicht, ich glaube Dich nicht. Der Tod kommt nicht vor als eintönige Siegesveranstaltung einer Lebensvernichtung, sondern er kommt vor, wenn er vorkommt, als ein Streitpartner. Es wird ihm widersprochen." So hofft man, der Atem hält noch ein Weilchen an.

Martin Walser, Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung; Rowohlt Verlag, 2018, 208 Seiten, 20 €


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