Wer war Königin Victoria? Überliefert wird sie uns oft als zurückgezogen lebende, um ihren verstorbenen Ehemann Prinz Albert trauernde und im Zuge dessen nicht mehr an der Außenwelt interessierte Frau. Stimmt das? Die australische Historikerin Julia Baird zeichnet in ihrem Buch "Queen Victoria: Das kühne Leben einer außergewöhnlichen Frau" nun ein anderes Bild der Königin.
Das neue Bild einer mächtigen Frau
Im Jahre 1837 bestieg Queen Victoria im Alter von nur 18 Jahren den Thron. Als sie am 22. Januar 1901 starb, war sie Herrscherin über ein Viertel der Weltbevölkerung. Mehr als 63 Jahre lang war sie die Frau an der Spitze des britischen Empire. Mit 20 Jahren heiratete sie Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, eine Ehe, die 9 Kinder hervorbrachte. Nach dem Tod des Prinzen im Jahre 1861, zieht sie sich zurück, verschließt sich der Welt und wird zu der trauernden, eingekehrten Frau, als welche sie uns oftmals (runtergebrochen) dargestellt wird. Dieses eindimensionale Bild anzureichern, hat sich dieHistorikerin Julia Baird zur Aufgabe gemacht. Sie zeigt uns eine lebenslustige, sex- und freiheitsliebende, machtbewusste Frau.
Eine unviktorianische Queen Victoria
Das Buch versammelt diverse Zitate aus den Korrespondenzen der Königin sowie Auszüge ihrer privaten Aufzeichnungen. Baird hatte hierzu Zugang zu den Royal Archives. Darüber hinaus lässt die Autorin zahlreiche Zeigenossen zu Wort kommen: Mitglieder der königlichen Familie, des Hofstaats und der Regierung, Staatsmänner, Künstler und Journalistin.
Aus diesen Darstellungen geht eine recht unviktorianische Queen Victoria hervor, die religiös bedingte Einschränkungen verachtete, Sexualität genoss und sich in einer männerdominierten Welt behauptete. Oft emotional impulsiv, rebellierte die Königin gegen jegliche Versuche, sie zu kontrollieren. Eine liebevolle, großherzige Frau, die allerdings oft auch mit sich haderte, nachtragend und selbstzentriert war.
Mehr als nur eine Reaktion
Anhand der facettenreichen Darstellung Victorias, beleuchtet die Autorin zugleich auch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen des viktorianischen Zeitalters. Das Buch erzählt die Geschichte einer imponierenden Persönlichkeit, und zeigt uns wie wichtig es ist, historische Dartellungen aus verschiedenen Perspktiven zu betrachten. So müssen wir uns immer wieder fragen, wer die Geschichte erzählt. Denn die trauernde, sich der Welt abkehrende Queen Victoria, die wir aus historischer Sicht häufig kennenlernen, ist nur eine reaktive Queen Victoria (die Darstellung einer Frau, die auf den Tod ihres Ehemannes reagiert). Zu vermitteln, dass dieser reaktive Moment allein keine so einschlägige Persönlichkeit ausmachen kann, ist die eigentlich große Leistung dieses Buches.
Zur Autorin
Julia Baird hat Geschichte an der Universität Sydney studiert. 2001 promovierte sie über Politikerinnen und die Medien. Seit 1998 ist sie außerdem journalistisch und als Autorin tätig. Baird moderiert die Nachrichtensendung "The Drum" des australischen Senders ABC TV und schreibt unter anderem Kolumnen für den Sydney Morning Herald und die International New York Times.
Julia Baird; Queen Victoria: Das kühne Leben einer außergewöhnlichen Frau; wbg Theiss; 2018; 596 S.; 34 €