Thomas Hürlimann "Heimkehr" - Rückkehr in die Zerstückelung

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Quelle: S. Fischer Verlag / Presse

Thomas Hürlimanns neuer Roman „Heimkehr“ wankt suchend zwischen Leben und Tod. Auf seiner scheinbar endlosen Reise stolpert er über Religion, Mystizismus und einer Katze namens Dada.

Die niemals endende Suche beginnt in etwa hier: Heinrich Übel kriecht aus dem Schrotthaufen, der vor Kurzem noch ein von ihm geliehener Chevy war, und den er soeben auf einer vereisten Brücke ins Geländer jagte. Blutend und benommen liegt Hürlimanns Erzähler auf der eiskalten Straße, wo er allmählich wegdämmert. Zu Sinnen kommt er erst wieder in Sizilien. Kahl geschoren und vernarbt hält man ihn hier für einen waschechten Mafioso. Das erste Mal seit knapp 40 Jahren wird er respektiert. Doch noch immer von einem stetigen Dämmerzustand begleitet, beginnt sich Heinrich nun Fragen zu stellen: Ist er überhaupt am Leben? Warum Sizilien? Und was geschah vor dem Unfall?

Der Unfall - der Heinrich jene Erinnerungen raubte, die er nun müheselig zu rekonstruieren versucht - geschah auf dem „Heimweg“ zu seinem Vater. Heinrich Übel Senior hat seinen Sohn vor achtzehn Jahren verstoßen, und nun heimgerufen. Und wie der Erinnerungslose allmählich damit beginnt einzelne Erinnerungsfragmente zu vereinen wird für ihn und für den Leser gleichermaßen klar: In diesem Leben fehlt weitaus mehr als nur die Erinnerungen. Heinrich Juniors Leben scheint voller Risse und selbst in jeglicher Hinsicht nur fragmentarisch zu sein. Abgesehen von dem fehlenden Vater (der Heinrich mit zwanzig aus dem Haus warf) und der fehlenden Mutter (die während seiner Kindheit spurlos verschwand) führt er ein versifftes und verbocktes Dasein. Dazu passt nur allzu gut, dass er selbst seine Heimkehr nicht ohne massive Unterbrechungen zustande bringt.

Auch die nächsten Anläufe hin zum Vater, die der Protagonist in immer neuen, äußerst unterhaltsamen Maskeraden angeht, sind nicht ohne weitere Umwege über die Bühne zu bringen. Der melancholieanfällige Heinrich Junior durchirrt Italien, Afrika, Zürich und die DDR kurz vor dem Mauerfall. Auf all den Entwicklungsstufen, die Hürlimann seinen Helden dabei durchleben lässt, wird dieser in groteske Abenteuer verwickelt, die den weltliterarischen Kanon wiedererinnern lassen. Letztlich kehrt Heinrich (immer wieder) als ein später Odysseus heim, der von niemandem erkannt wird, außer von der Katze Dada, die ihn als kluger Lebensbegleiter in Grenzsituationen vor dem Untergang bewahrt. Das Wiederfinden der verlorenen Erinnerung lässt dabei auf sich warten.

Thomas Hürlimanns Roman strotzt vor parodistischen Überspitzungen, die dafür sorgen, dass der Grenzgang zwischen Leben und Tod von seiner Düsternis befreit wird. Eine brillante Geschichte über den Topos des verlorenen Sohnes, der sich selbst als dieser verlor. So kehrt Hürlimann nach 13 Jahren krankheitsbedingter Unterbrechung mit „Heimkehr“ wieder in die Literatur ein. Sein Heinrich, am selben Tag geboren wie der Autor, ist nicht nur aus diesem Grunde an vielen Stellen deutlich als Alter-Ego gekennzeichnet. Nicht zuletzt ist der Grenzgang zwischen Leben und Tod eine Erfahrung, die der Autor selbst miterlebt hat.

Thomas Hürlimann: "Heimkehr. Roman." S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 522 Seiten, 25 Euro.





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