Treibstoff Frank Schätzing im Interview über Storytelling

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Der Bestseller Autor Frank Schätzing weiß, wie man erfolgreich Geschichten erzählt. Und welche Fehler Unternehmen immer wieder beim Storytelling machen. Im Interview mit dem News-Blog TREIBSTOFF verrät Schätzing seine Zutaten für eine gute Story.

„Homo Sapiens braucht Geschichten zum Überleben“ - Autor Frank Schätzing über Storytelling Foto: news aktuell

TREIBSTOFF: Herr Schätzing, welche Zutaten braucht eine gute Story?

SCHÄTZING: Vor allem Authentizität. Die Menschen merken, wenn man sich verbiegt, um ihnen zu gefallen. Du hast eine Story mit Ecken und Kanten, unangepasst, schräg, von der jeder Marktforscher abraten würde, die dich aber fasziniert? Schreib sie auf! Bevölkere sie mit lebensnahen Figuren, unabhängig davon, ob sie von zwei Leuten in einem Raum oder von der Galaktischen Föderation handelt. Am Ende geht es um Identifikation. Am meisten berühren uns Geschichten, in denen wir unsere Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen gespiegelt sehen. Diese Storys empfinden wir als glaubwürdig.

TREIBSTOFF: Was sind die größten Hürden, die Sie bei der Umsetzung einer Idee überwinden müssen?

SCHÄTZING: Die Hürden der Unwissenheit. Worüber auch immer ich schreibe, ich muss das Thema zuvor durchdrungen haben. Je nach Komplexität reihen sich da viele Hürden aneinander, aber es ist immens vergnüglich, sie zu überwinden.

TREIBSTOFF: In der PR ist Storytelling seit vielen Jahren ein Zauberwort - zu Recht?

SCHÄTZING: Ja und nein. Der Stein der Weisen ist auch Storytelling nicht, aber es steckt Potenzial drin. Zugrunde liegt die sogenannte Narrative Psychologie. Die lehrt, dass jeder Mensch sich und seine Umwelt über Geschichten definiert. Homo Sapiens braucht Geschichten zum Überleben, unser Hirn ist so konstruiert, dass es unentwegt Ereignisse in Bezug zueinander setzt, auch als Fiktion, um sich so die Umwelt zu erklären. Das funktioniert allerdings nur, wenn uns die so entstehenden Geschichten emotional packen. Gerade die Werbung strotzt vor Szenarien, die meistens grauenvoll konstruiert wirken. Das perlt ab. Storytelling ist, wie erwähnt, die Kunst, in meiner Geschichte im Grunde die Geschichte meines Gegenübers zu erzählen. Dann habe ich seine Aufmerksamkeit. Des Weiteren muss man verstehen, dass sich Erzählweisen und die Rezeption von Geschichten rasant verändern. Heute gibt es keinen Grund mehr, zu einer bestimmten Uhrzeit vor der Glotze zu sitzen. Keinen Grund, einen Film am Stück zu gucken. Nicht mal einen Grund, überhaupt eine Glotze zu besitzen, und auch keinen Grund, Zeitung zu lesen. Alles verlagert sich sukzessive in Medien, in denen Informationen anders konsumiert und selektiert werden als noch vor Jahren.

Modernes Erzählen bewegt sich fort vom voluminösen Informationspaket hin zu kleineren Informationsfraktalen. Das neue Kino etwa ist die Serie. Eine Endlosgeschichte in Staffeln, von der ich immer so viel konsumiere, wie ich Lust habe - wann, wo und wie ich will. Das verändert die dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten des Erzählens fundamental. Storys von heute sind eher wie lebende Mosaike. Sie entstehen in Social Networks, in Tweets. Viele junge Leute bevorzugen dabei immer kürzere und fragmentierte Erzählungen, um möglichst viele Geschichten simultan in möglichst kurzer Zeit zu erleben.

TREIBSTOFF: Profitieren Geschichten aus Ihrer Sicht, wenn sie crossmedial erzählt werden?

SCHÄTZING: Auf jeden Fall profitieren die Geschichtenerzähler. Crossmediales Erzählen ist ein Geschäftsmodell. Wie viel der Konsument davon hat, hängt von der Qualität ab. Fakt ist, ein Buch, ein Film, ein Song kann ganz wunderbar für sich alleine stehen. Und ebenso wunderbar Teil eines größeren erzählerischen Kosmos sein. Ihrem Potenzial nach sind alle Storys crossmedial. Jede Geschichte existiert a priori im gedanklichen Raum, größer als jedes Medium. Erst dann fällt die Entscheidung, ob ich ein Buch, einen Film, eine Oper oder ein Bild daraus mache. Oder all das. In jeder Darreichungsform scheint eine andere Facette auf, weswegen man zum Beispiel ein Buch nicht seitengetreu verfilmen, sondern versuchen sollte, ein eigenständiges Werk mit den spezifischen Mitteln des Kinos herzustellen, das der Story etwas hinzufügt. Dann wird's spannend. Im Grunde löst crossmediales Erzählen die Story vom Medium und erhebt sie in den Stand einer nie auserzählten, alles durchdringenden Parallelwelt.

TREIBSTOFF: Welche Fehler werden beim Storytelling immer wieder begangen - gerade in der PR und von Unternehmen?

SCHÄTZING: Die üblichen. Unternehmen wie Agenturen neigen dazu, jede Begriffshülse als neue Heilslehre zu betrachten, und Storytelling ist jetzt schon auf dem besten Weg, zur Hülse zu verkommen. Die Wirkung wird überschätzt, ohne das Phänomen hinreichend verstanden zu haben. Als müsse man nur irgendeine idiotische Handlung zum Besten geben und die Leute hingen einem an den Lippen. Viele sogenannte Storyteller halten in der irrtümlichen Annahme, sie erzählten anderen eine Geschichte, tatsächlich einen Monolog.

Ein weiteres Problem: Viele Storyteller sind noch zu sehr im reinen Absenderdenken verhaftet. Konsumenten gierten schon immer nach Information, heute aber streuen sie selbst pausenlos Informationen. Anders als früher können PR-Strategen und Unternehmen jetzt hören, was die Menschen wollen. Sie mögen hoffen, dass der potenzielle Kunde aus dem Tosen der Werbung und Informationsbeschallung ihre Story herausfiltert, oft aber sollten sie schlicht besser zuhören, wenn die Angesprochenen im Netz ihre Story erzählen.



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