Neulich kam ein Freund aus Kindertagen (sozusagen, denn in Wirklichkeit war ich in jenen Tagen Studentin) und wir verbrachten ein vergnügliches Wochenende miteinander. Als er wieder weg war, merkte ich, dass diese Tage auch ganz schön anstrengend waren. Denn ich fand mich in einer Rolle wieder, mit der er mich schon in grauer Urzeit bedacht hatte. Damals passte sie mir wohl, jene Rolle.
Abgesehen von einem angenehmen Gefühl beim Gedanken an diesen Menschen und bunten Karten zum Jahreswechsel, auch regelmäßigen Grüßen zum Geburtstag, hatten wir in all den Jahren keinen nennenswerten Kontakt. Wir haben uns auseinander gelebt, so nennt man das doch?
Freundschaften muss man pflegen, das ist nicht einfach, wenn man so oft wie ich die Städte gewechselt hat, denn mit jedem Umzug kommen neue Freunde dazu...
Wir sind älter geworden, haben uns weiter entwickelt, mögen uns zwar noch immer, sind aber nicht mehr die, die wir mal waren. Wäre auch schrecklich, wenn das so wäre!
Der alte Freund war damals schon ein Mann mit einem interessanten Beruf, während ich noch am Anfang meines Weges stand. Heute blicke ich ebenfalls auf eine interessante und vielfältige berufliche Entwicklung zurück, aber der Freund scheint dies nicht zu bemerken.
Auch bei anderen alten Freunden fiel mir auf, dass man sich nicht wirklich neu kennenlernen möchte. Weil das mühsam ist.
Nicht jeder verändert sich zu seinem Vorteil. Nicht jeder möchte sich in seiner neuen Gestalt Freunden von früher zeigen. Besucht man sich, so steht man die erste halbe Stunde meist unter Schock: OH GOTT, IST DER (oder die) ALT GEWORDEN! Die Erkenntnis, dass man selber genauso alt aussieht, komm meist später.
Und eigentlich möchte niemand sich sagen lassen, dass die Zeit, die so schnell vorüber gezogen ist, möglicherweise unschöne Spuren hinterlassen hat, figürliche wie charakterliche.
Alte Freunde sind wie Zeugen vor Gericht, die laut und für jedermann hörbar berichten, dass man früher besser, schneller, dünner, schöner, kompromissloser, humorvoller war als heute. Sie müssen nicht mal tatsächlich etwas sagen, wir fühlen es, dass sie uns vergleichen, mit der Person, die wir mal waren, so voller Ideale, so weltverbesserisch drauf, so unbeugsam...
Und heute färben wir uns vielleicht die Haare und lesen Zeitschriften, die unsere Eltern schon gerne gelesen haben.
Wir trennen uns von Möbeln, Büchern, Kleidern, wenn diese nicht mehr zu uns passen, also warum nicht auch von alten Freunden?
Gesünder wäre es allemal. Ich glaube, die alten Freunde wären ebenfalls dankbar für ein wenig Platz für neue Freunde in ihrem Leben.
Der wunderbare englische Schriftsteller Evelyn Waugh lässt seine skurrile Geschichte „Tod in Hollywood“ in einem Haustier-Bestattungsunternehmen spielen. Dort bietet man den Trauernden Erinnerungskarten an, die an Jahrestagen mit der Post ins Haus kommen: „Heute denkt Dein Hündchen in den ewigen Jagdgründen an Dich und wedelt mit dem Schwänzchen“ steht darauf. Jahrein, jahraus, bis der Kunde selbst das Zeitliche segnet...
Belassen wir lieber alte Freunde wie getrocknete Blumen zwischen den Seiten unserer Lieblingsbücher. Von den Blüten erwartet auch niemand, dass sie noch genauso duften wie damals beim Pflücken, und doch erfreuen sie das Herz und rufen Erinnerungen wach, wenn man sie zufällig findet. Solch kleine Überraschungen sind angenehmer als sich ewig wiederholende Grüße zu Jubiläen und Festen.
Verbeugen wir uns lieber gleich kurz voreinander, sagen „SCHÖN WAR DIE ZEIT!“ und winken freundlich zum Abschied.
Liebe alte Freundinnen und Freunde! Radiert mich bitte freundlicherweise aus euren „ewigen Geburtstagskalendern“ aus. Danke, und auf zu neuen Abenteuern:-)
Wo der Gast König ist
Gips zu Geld machen
Die Geschäftsidee
Leben im Diorama
Ferien ohne Männer
Männer in den Kirschen
Der Taucher
Sonst keine Probleme
Berlusconis Haare
Blut und Schokolade
Häusliche Unfälle
Schutz, der keiner ist
Verheiratete leben länger!
Die Brüste von Marina Abramovic
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Jahresrückblick 2022: Die besten Bücher
"Studio Orange" mit Sophie Passmann: Verhöhnung der Literatur?
Unsere Leseempfehlungen zur Weihnachtszeit
Aktuelles
Der Sandkasten
Bald ist es wieder soweit: Leipzig wird zum Literaturhotspot
Christoph Peters "Innerstädtischer Tod" darf weiter erscheinen
Simons Linien" von Kerstin Fischer – Ein ergreifendes Porträt auf der Suche nach Identität
Literatur im Rampenlicht: ARD, ZDF und 3sat setzen auf Buchmesse-Glamour
Robert Habeck: Den Bach rauf – Der schmale Grat zwischen Ehrlichkeit und Inszenierung
Die besten Psychothriller Bücher: Bestseller & Geheimtipps für Nervenkitzel
