Buchtipp Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge Das Buch "The Man in the High Castle", was taugt es?

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"Das Orakel vom Berge" gilt als der beste Science-Fiction-Roman von Philip K. Dick. Amazon hat bereits die zweite Staffel der TV-Serie nach dem Roman gedreht - doch der hat nur die Grundzüge mit der Serienhandlung gemein. Die Deutschen und die Japaner haben den 2. Weltkrieg gewonnen und die Welt unter sich aufgeteilt.

Foto: Fischer

Roosevelt ist tot, Bormann ist tot, und Hitler geht´s auch nicht gut

Was wäre, wenn Deutschland und Japan den 2. Weltkrieg gewonnen hätten? Philip K. Dick hatte bereits 1962 in seinem Roman "Das Orakel vom Berge" eine Antwort: Franklin D. Roosevelt wird 1933 ermordet und der Zweite Weltkrieg endet im Jahre 1947 mit dem Sieg der Achsenmächte. Die Japaner erhalten das Gebiet westlich der Rocky Mountains und gründen die Pazifischen Staaten von Amerika ( PSA). Das "deutsche" Amerika heißt weiterhin „Vereinigte Staaten von Amerika“ und liegt östlich der PSA. Doch Deutschland und Japan belauern sich beständig: Zwischen den Gebieten liegt als Pufferzone noch die RMS, die „Rocky-Mountains-Staaten“.

Obwohl Hitler mittlerweile im Sanatorium dahinsiecht und sich in Deutschland die möglichen Nachfolger in Position bringen, geht der nationalsozialistische Größenwahn weiter. Die Bevölkerung Afrikas soll komplett ausgerottet werden; das Mittelmeer wird zur Landgewinnung trocken gelegt und die neuen Messerschmitt-Raketenflugzeuge bewältigen die Strecke Stockholm-New-York in 45 Minuten. Die Deutschen haben mittlerweile Mond und Mars besiedelt, während die Japaner den südamerikanischen Regenwald abholzen. Überhaupt scheinen die Deutschen den Japanern in so ziemlich allem einen Schritt voraus zu sein. Vor allem hat das Nazi-Reich die Wasserstoffbombe - und ein Teil der Führungsriege in Berlin plant, die japanischen Inseln durch einen Erstschlag anzugreifen und sich den Rest der Welt einzuverleiben.

Auch kulturell hat sich einiges getan: In den USA selbst dirigiert Herbert von Karajan die New Yorker Philharmoniker, während Bob Hope im noch nicht besetzten Kanada Witze über Hitler und die Nazis reißt. Im Westen der USA haben amerikanische Alltagsgegenstände aus dem vorhergehenden Jahrhundert Sammlerwert: Reiche Japaner zahlen ein Vermögen für Bürgerkriegswaffen oder Comic-Erstausgaben. Doch im japanischen Sektor ist das (fiktive) Buch "Die Plage der Heuschrecke" eines gewissen Hawthorne Abendsen der Bestseller schlechthin: In den Werk, das sich im Verlaufe des Buches als Orakel und Hinweis auf eine parallele Realität entpuppt, haben nicht die Achsenmächte den Krieg gewonnen, sondern die Briten. In den von Nazis kontrollierten Gebieten ist das Buch verboten.

Drei Erzählungen illustrieren das Welt-Reich

Philip K. Dick beschreibt die neue Welt aus der Perspektive verschiedener Personen, deren Schicksale einander zwar beeinflussen, die sich in der Regel aber nicht begegnen. Da erscheint zum Beispiel Robert Childan, der in seinem Laden American Artistic Handcrafts seltene amerikanische Antiquitäten an reiche Japaner verkauft, aber eigentlich nur Zugang zur feinen asiatischen Gesellschaft sucht.

Frank Frink hingegen ist eigentlich ein getarnter Jude, der von seinem Arbeitgeber, einer Fälscherwerkstatt von US-Antiquitäten, entlassen wurde. Zusammen mit seinem Vorarbeiter macht er eine Schmuckschmiede auf und verkauft sie an Childan.

Mr. Tagomi ist dagegen Leiter der japanischen Handelskommission und gehört zu Childans Kunden. Er ist hin- und hergerissen zwischen der westlichen und östlichen Kultur. Als Frank Frink enttarnt wird, lässt Tagomi ihn aus Verärgerung über die Deutschen laufen.

Schließlich tritt auch noch Frinks Ex-Frau Juliana auf, die als Judolehrerin unterwegs ist. Sie liest das sagenumwobene Buch "Die Plage der Heuschrecke" (in der TV-Serie ist dies ein Film) und schließt sich dem Trucker Joe Cindella an. Gemeinsam mit ihm will sie den Autor Hawthorne Abendsen besuchen. Doch Cindella entpuppt sich als Schweizer Killer, der von den Nazis angeheuert wurde, um Abendsen zu töten. Juliana bringt aber Cindella noch vorher um und besucht Abendsen. Dort stellt sich heraus, dass der Autor nicht etwa in einer Festung wohnt, wie es heißt, sondern in einem ganz normalen Haus in den Rocky-Mountains-Staaten. "Die Plage der Heuschrecke" erweist sich dabei als orakelhaftes Buch mit einer dem I Ging ähnlichen Mystik und weist auf eine parallele Dimension hin, in der die Welt noch frei ist.

Fazit: "Das Orakel vom Berge" mag einer der Sci-Fi-Klassiker schlechthin zu sein, hat aber letztlich nur entfernt etwas mit der TV-Serie zu tun. So entstehen faszinierende Verfremdungseffekte, wenn Japaner mit glänzenden Augen Comic-Erstausgaben, Autogrammkarten von Jean Harlow oder Vorkriegs-Kaffeemühlen für sündhaftes Geld erstehen. Letztlich illustrieren die Geschichten und Schicksale der Protagonisten im Buch aber lediglich Philip K. Dicks Vision einer Welt unter der Herrschaft der Nazis. 'Diese Vision ist heutzutage nur noch bedingt überzeugend: So sind die Deutschen zwar auf dem Mars unterwegs, aber Berlin sendet in den 60er Jahren täglich gerade mal vier Stunden TV-Programm. In den USA ist die Einrichtung der ersten TV-Station für das Jahr 1970 vorgesehen. Ausgerechnet das Mittelmeer vor dem unmittelbar angrenzenden, weitgehend menschenleeren afrikanischen Kontinent zur Landgewinnung trockenzulegen, mag auch etwas gewagt zu sein. Und die Ausrottung der afrikanischen Völker scheint dem deutschen Stereotyp des KZ-Mörders geschuldet.

Die verschiedenen, nur indirekt miteinander zusammen hängenden Erzählungen einzelner Schicksale im Buch ergeben trotzdem keine in sich zusammenhängende Geschichte, wie es eine TV-Serie erfordert. Für Fans der Serie mit Hang zum Hintergrundwissen und Science-Fiction-Jünger ist der Roman von Philip K. Dick natürlich Pflichtlektüre. Spannender und aus heutiger Sicht nachvollziehbarer ist aber das thematisch ähnlich gelagerte "Vaterland" von Thomas Harris.

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