In einem Kurort zu leben bedarf starker Nerven. Man darf dort praktisch nichts außer atmen, Blumenbeete betrachten, Seniorenboutiquen besuchen und die örtlichen Konditoreien plündern.
Ich kenne einen gut aussehenden älteren Herren, der sich irgendwann aus freien Stücken entschloss, in einem Kurort zu wohnen. Um fortan viel Zeit auf lauschigen Parkbänken zu verbringen, inmitten fantasievoller Bepflanzungen, beim leisen Plätschern der Zierbrunnen Zeitung lesend oder radfahrend im Kurwald. (Aber wahrscheinlicher ist, er stellte sich vor, ein Leben als Kurschatten zu führen, denn er kennst sich mit Blumen und Sternen aus, ist ein vorzüglicher Tänzer, dazu Nichtraucher und der Damenwelt sehr zugeneigt).
Was sein Treiben in den wenigen Tanzcafés des Ortes betrifft, darüber hüllt er sich in Schweigen. Die Parkbänke laden noch nicht zum Verweilen ein und sein Fahrrad steht eingemottet im Keller. Radeln tut er trotzdem: auf dem Hometrainer! Denn in dem benachbarten schönen Wald ist das Radfahren verboten... Der Wald ist so riesig, dass kaum ein Anwohner ihn je erwandert hat. (Man erzählt sich sogar von einem, der dies versucht haben soll, aber nie zurückkehrte... Doch ich glaube, dass er froh war, dem Kurort entkommen zu sein und heute in einer großen Stadt ein aufregenderes Leben lebt). Die meisten Menschen, die in des prachtvollen Waldes Nachbarschaft leben sind älter, und sehr lange Wanderungen unternehmen sie eher selten. So sind die stattlichen Bäume meist unter sich, und unter den wilden Tieren könnte es sich herum gesprochen haben, dass man auf diesem Fleckchen Erde unbehelligt leben kann. Ein wahrer Kurort für Tiere! Menschenfrei, rauchfrei, Wanderlieder-frei, frei von domestizierten Vierbeinern - ein Paradies...
Wären da nicht die Kurort-Hausmeister! Mit Laubpustern bewaffnet fallen sie in den frühen Morgenstunden in diese traumhafte Welt ein, blasen mit lautem Getöse Blätter und Nadeln von Wegen, die kaum jemand betritt... Sie verrichten ihre Arbeit sehr gründlich, man könnte vom Boden essen, so sauber ist es dort.
Vom Boden essen zu können, erscheint vielen Menschen in Deutschland auch ein höchst erstrebenswerter Zustand ihrer Wohnungen, Gärten, Straßen... Wenn jemand erzählt, bei Frau X daheim sei es so sauber, dass man vom Fußboden speisen kann, sagt mein Vater gerne (wenn er zugegen ist), “Wir haben Teller”. Und ich lache jedes mal schallend los, bleibe aber mit meinem Lachen meist alleine, weil Frau X verschnupft tut. Mein Vater lacht in solchen Situationen auch nicht, das verbietet ihm seine gute Erziehung. Er lächelt höflich und zwinkert mir zu. Vielleicht wäre auch er ein passabler Kurort-Bewohner?
Seit 1. April gibt es einige neue Schilder im Straßenverkehr. Der Kurwald rüstet sicher auch bald nach.
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