Vor genau 10 Jahren verbrannte ich all meine Tagebücher und sämtliche Briefe, die mich bis dahin erreicht hatten. Es war eine unglaubliche Tat. Wer mich damals kannte, konnte sich nicht genug darüber wundern. Handgeschriebenes genoss bei mir einen sehr hohen Stellenwert, private Briefe behandelte ich fast wie etwas Heiliges. Der Auslöser dieser barbarischen Tat war ein eingeschriebener Brief.
Schon an der Handschrift erkannte ich den Absender und wußte sogleich, dass ich diesen Brief nicht lesen wollte. Seit drei Wochen kam täglich Post von einem verschmähten Verehrer und der Ton darin gefiel mir zunehmend weniger. In dem Haus, in dem ich damals wohnte, gab es keine Zentralheizung, dafür wunderbare, gut funktionierende Berliner Kachelöfen und ich war gerade beim Einheizen, als der Postbote klingelte. So wanderte jener Brief ungeöffnet und vor den Augen des Zustellers in den offenen Schlund des Ofens... Und wurde sogleich von Flammen verschlungen. Adieu, böse Worte!
Während ich in das kurz auflodernde Feuer starrte, kam mir die Idee, alle anderen Briefe mit jener Handschrift diesem folgen zu lassen. Als der Anfang getan war, holte ich die Schuhkartons voller weiterer Briefe, allesamt schöne und mein Herz erwärmende, Zeugnisse langer Brieffreundschaften, auch Liebesbriefe, und schickte alle gen Himmel. Ich war wie im Rausch. Kaum waren die Kartons leer, nahm ich eines meiner Tagebücher, das mit dem Liebeskummer, und warf es hinterher. Was in den folgenden Tagen geschah, führte zu einem Gefühl der Befreiung, wobei ich davon überzeugt war, etwas sehr Verbotenes zu tun.
Aber ist es nicht manchmal schön, Verbotenes zu tun?
Gestern war es dann wieder so weit. Tagebücher der vergangenen Jahre verstopfen meinen Schrank, aber Feuer gibt es in dieser Wohnung leider nicht. Dafür zwei Reißwölfe! Sie liefen heiß, während ich den Inhalt der Bücher Vernichtete... Ich brauche sicher noch ein paar Tage, dann ist wieder Platz für Anderes.
Heute sehen meine Tagebücher anders aus als damals, auch anders als die, die ich seit gestern vernichte. Aber es sammeln sich weiterhin Zeugnisse gelebten Lebens an... Doch ich bin achtsam! Möchte nicht, dass später mal Kunststudenten Versatzstücke meines Lebens auf Flohmärkten finden und Objekte daraus basteln. Oder meine Erben entscheiden müssen, wohin mit dem Kram und vielleicht glauben, meine Wortergüsse müsse man bewahren... Welch ein Seegen das papierlose Zeitalter doch mit sich brachte! Die Löschtaste ist eine recht passable Erfindung, obwohl sie das Feuer nicht zu ersetzen vermag.
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