Nach der Millionenklage gegen die nicht autorisierten Abschriften von Interviewaufnahmen sind nur noch Restauflagen der ungeschwärzten Version erhältlich. Lesering weiß, was sich hinter den schwarzen Stellen verbirgt.
Die Kohl-Protokolle: Das steht in der unzensierten Fassung
Bei "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" geht es um fünf Millionen Euro Schadensersatz, auf die Helmut Kohl mit Betreiben seiner jetzigen Frau seinen ehemaligen Ghostwriter Heribert Schwan und den Heyne Verlag verklagen will. Da Heyne das E-Book ohne die bemängelten Passagen recht dreist unter dem Label "Mit den offiziell vom Landgericht Köln erlaubten Passagen" verbreitet, erhärtet sich schon bei der Leseprobe der Verdacht: Der Großteil der wörtlichen Rede ist geschwärzt (Lesering berichtete). Allerdings ist die unzensierte Restauflage noch im Handel erhältlich.
Gut und böse für den Altkanzler
Was ist also dran an dem Buch, verfasst vom Vertrauten wider Willen und gleichzeitig Kohl-Skeptiker Heribert Schwan unter Beihilfe von Tilman Jens? Zunächst versucht das Autorenduo recht glaubwürdig zu belegen, dass Helmut Kohl in schierem Unfrieden aus der Politik ausgeschieden ist. Kohl fühlt sich missverstanden, verraten und sein Lebenswerk keineswegs ausreichend gewürdigt. In der Parteispendenaffäre fühlt sich Kohl unfair behandelt; Parteifreunde werden in Schwarze-Weiß-Kategorien etikettiert, nicht aber etwa Gründe etwaiger Streitigkeiten in der Tiefe erörtert.
Kohl gibt zwar Einblick in einige taktische Winkelzüge, so dass er etwa die ungarische Grenzöffnung um vier Stunden passend zu einem Parteitag verschieben ließ. Oder auch das seltsam distanzierte Verhältnis zu Ehefrau Hannelore, das insbesondere befremdlich wirkt, als Kohl nochmals aus ihrem Abschiedsbrief nach ihrem Selbstmord zitiert. Keine Frage, dass der mittlerweile schwer erkrankte Helmut Kohl sich seinem Gegenüber hier im Privaten öffnet und der Veröffentlichung auch ohne Mithilfe von Ehefrau Maike Kohl-Richter widersprochen hätte.
Grobe Worte für vermeintliche Verräter
Der Hauptteil des Buches besteht allerdings darin, Helmut Kohls Führungsstil und Machtumgang zu portraitieren. So beschreiben die Autoren Helmut Kohls Informationssystem bis an die Wurzeln der Parteibasis hinein, ja angeblich sogar bis ins Privatleben der Lokalpolitiker. Auffällig oft zitieren Schwan und Tilman den Altkanzler, wie er ehemalige Weggefährten regelrecht beschimpft und abkanzelt. Darunter fallen nicht etwa nur längst abservierte Gegner wie Heiner Geissler oder Rainer Barzel, sondern durchaus auch Angela Merkel, in deren Anfangstagen sie Kohl bei Staatsessen für ihr angeblich ungehobeltes Verhalten habe mehrfach zur Ordnung rufen müssen.
Eine tiefere historische Bedeutung, wie Heribert Schwan und Tilman Ernst ihrem Werk bescheinigen, sucht man im Buch allerdings vergebens. Vieles scheint aus dem Zusammenhang gerissen, anderes privat gesprochen.
Fazit: Die als E-Book erhältliche Fassung von "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" lohnt sich alleine wegen der zahlreichen geschwärzten Stellen, die hauptsächlich Kohls wörtliche Rede abdecken, nicht. Noch sind aber im Handel unzensierte gebundene Ausgaben erhältlich. Aber was wurde überhaupt geschwärzt? Im Grunde geht es um eine Ansammlung von Politikern, mit denen Kohl hadert und die er persönlich, teils mit groben Worten angreift und beleidigt. Da ist es durchaus zu hinterfragen, mit welcher journalistischen Ethik derartige Aussagen mit Biertischcharakter, die erkennbar nicht zitierfähig zu Protokoll gegeben wurden, zu einem Buch verarbeitet werden. So geben "Die Kohl-Protokolle" zwar einen durchaus interessanten Einblick in das Machtsystem von Helmut Kohl. Von einem historischen Vermächtnis ist das Buch jedoch deutlich weiter entfernt als von einem politischen Bohlen-Stück.