Die Moderatorin, Schauspielerin und Autorin Jacqueline Roussety ist ein Multitalent. Zur Buchmesse erscheint ihr neuestes Buch "Wenn das der Führer sähe...". Lesering war im Gespräch mit ihr über die Hintergründe zum Buch, über Parallelen zur Gegenwart und über Selfpublishing.
Das Buch „Wenn das Führer sähe“ ist mit fast 800 Seiten ein wahrliches Mammutwerk: Wie lange haben Sie daran geschrieben?
Für die Romanfassung waren es ca. 4 Jahre. Doch das 1. Interview mit Walter Grögers jüngster Schwester fand bereits 2003 statt. Im Laufe der Jahre lernte ich die restliche Familie kennen, es folgten viele weitere persönliche Begegnungen. Es hat aber auch einfach eine Zeit gedauert, bis ich den richtigen Ton fand, die Geschichte so zu erzählen, dass es vor allen Dingen für ein breites Publikum nicht nur informativ sondern eben auch spannend und berührend erzählt wird. Natürlich habe ich mich als Geschichts- und Literaturwissenschaftlerin so oder so mit dem Thema auseinander gesetzt. Es war mir absolut wichtig und unverzichtbar, Fakten und natürlich auch die geschichtliche Aufarbeitung in die fiktionale Ebene mit hineinzuweben.
Was gab den Anlass zum Schreiben/ Aufarbeiten des Buches?
Mich hat schon als junger Mensch das Thema sehr nachdenklich gemacht und die persönlichen Schicksale sehr berührt. Zumal ich in meiner Familie erleben musste, dass die eine Seite glühende Naziverehrer waren und die andere Seite genau das Gegenteil. Diese große Diskrepanz konnte ich nicht so richtig nachvollziehen – viele Fragen blieben lange Zeit offen und unbeantwortet. So habe ich mich eigentlich die letzten Jahrzehnte mit dieser Zeit auseinandergesetzt, viele Interviews geführt, durfte in Kriegstagebücher hinein lesen und bekam mit, dass diese im Nachhinein betrachtet völlig irrsinnige Zeit sehr lange Schatten wirft. Das hat auch mich geprägt.
Sie haben bewusst nicht Filbinger in den Vordergrund gestellt, sondern die Familie um Walter Gröger – warum?
Besonders in der medialen Schlacht des Politskandals im Jahr 1978 ging es nur um den Politiker und seine in Gefahr geratene Macht. In unzähligen Interviews hat Filbinger immer wieder seine Unschuld beteuert, nie ein Wort der Entschuldigung über die Lippen gebracht oder Reue an den Tag gelegt. Ich war der Meinung, dass er genug medialen Raum bekommen hatte. Und wie so oft, bekommt die Opferseite nie die Aufmerksamkeit, die ihr eigentlich zusteht, um all den verletzten Gefühlen und aufgerissenen Wunden gerecht zu werden. Zudem war es mir ein Bedürfnis, nicht nur die Familie Gröger in den Vordergrund zu stellen, sondern eine ganze Generation, die heute zu Recht als „von Hitler Missbrauchte“ bezeichnet wird.
Konnten Sie während des Schreibprozesses noch abschalten?
Ich glaube das konnte ich bei keinem meiner Bücher. Als Schauspielerin und Regisseurin bin ich es auch gewohnt, wirklich in die Figuren eintauchen zu können, und lebe und durchlebe vielleicht auch dadurch ganz anders ihre emotionale Achterbahnfahrt. Die ganze Wohnung war übersät mit Büchern, die die Zeit des Nationalsozialismus aufarbeiteten. Es war nicht ungewöhnlich, dass Adolf Hitler, Hermann Göring, Joseph Goebbels und eben besagter Doktor Filbinger dunkler Teil des Alltages wurden. Aus irgendeiner Ecke blickte mich einer dieser Menschen tagtäglich an.
Was sagt die Familie von Walter Gröger zur Veröffentlichung des Buches? Wie viele Gespräche haben Sie mit der Familie geführt?
Ohne die Zustimmung der Familie Gröger hätte es dieses Buch nie gegeben! Ich habe ja schon vor Jahren beim Aufbauverlag ein wissenschaftliches Essays verfasst, mit dem ich schon sehr lange zu Vorträgen, u.a. bei der Wehrmachtsaustellung, und Lesungen eingeladen werde.
Für die Familie war es sehr wichtig, dass das Thema und dessen Aufarbeitung für viele lebendig bleiben. Und vor allem eben auch wie der Nationalsozialismus Familien nicht nur damals sondern eben bis heute geprägt hat! Um die Familie zu schützen werden aber meinerseits nie Namen genannt. Selbst bis heute gibt es immer wieder Journalisten, die gerne ein Interview mit mir machen möchten, aber immer nur in Verbindung mit einer der Familienmitglieder. Das haben wir bis heute kategorisch abgelehnt.
Gab es Reaktionen von Filbingers Familie?
Das ist eine längere Geschichte. In einem meiner Vorträge saß tatsächlich der Enkel von Dr. Hans Karl Filbinger. Er hat sich in Ruhe den Vortrag angehört und ist dann leise und ohne großes Aufsehen aus dem Raum gegangen. In einem anderen Vortrag saß einer der Söhne von Dr. Filbinger, der sich bis zum Schluss auch die Diskussion mit anhörte. Auch habe ich eine seiner Töchter kenngelernt, die natürlich nicht begeistert ist, dass es ein weiteres Buch über ihren Vater gibt, bei dem diese dunkle Seite aufgezeigt wird. Sie ist diejenige, die bis zum Schluss und weit über seinen Tod hinaus eine sehr seltsam anmutende Treue und Loyalität Ihrem Vater gegenüber besitzt. In Ihrem Buch versucht sie ihren Vater als sehr liebevollen Menschen und einfühlsam Politiker hinzustellen. Leider konnte Walter Gröger diese Seite nicht kennenlernen.
Man könnte meinen, sie hätten monatelange Recherche auch im schlesischen Mohrau betrieben: ist dem so?
Es gab lange die Überlegung, ob ich nach Mohrau fahre. Da ich aber nur die wichtigsten Stationen von Walter Gröger für den Roman benutzen wollte, habe ich mir die Dorfgemeinschaft und viele der Figuren ganz bewusst ausgedacht. Ich wollte mich nicht dabei beeinflussen lassen, wo welches Gebäude wirklich steht. Ich habe mich allerdings sehr intensiv mit der schlesischen Tradition und Bräuchen auseinandergesetzt. Und so konnte ich mir mit diesen fiktiven Figuren eine authentische Dorfgemeinschaft erschaffen, in der dann die Familie Gröger qua Fiktion eingemeindet wurde.
Sie haben das Buch in zwei Teilen veröffentlicht, jetzt ist es als Gesamtwerk erschienen, und sind mit Texten aus dem Buch auch schon seit geraumer Zeit auf Lesereise: wie sind die Reaktionen der Zuhörer? Gibt es eine Begegnung, die sie besonders beeindruckt hat?
Die Verschmelzung von wissenschaftlichem Essay und Romankapiteln gibt mir die Möglichkeit, Fakten mit persönlich Erlebtem zu verweben – das sind dann in meinen Lesungen immer sehr spannende Momente. Es gab bisher keinen Abend, bei dem die Zuhörer am Ende nicht erst einmal in Ruhe dasitzen wollten, um das was sie gehört hatten auf sich wirken zu lassen. Ich habe jahrelang vor Zeitzeugen und Menschen aus meinem Alter, der sog. Enkel-Generation, gelesen. Als ich dann plötzlich in einer Schule vor der Oberstufe lesen sollte, hatte ich ein bisschen Angst. Aber im Nachhinein kann ich sagen, dass diese Lesung mit die Berührendste war, die ich je erlebt habe. Die jungen Menschen begriffen, dass Walter Gröger nicht viel älter war als sie, als er hingerichtet wurde. Das hat sie sehr bewegt. Zudem wurde mir klar, dass das, was ich recherchiert und geschrieben habe, zum größten Teil nicht im Unterricht behandelt wird. Und somit sind sehr viele Stimmen laut geworden, dass dieses Buch eigentlich Pflichtlektüre für jede Schule sein müsste. Das macht mich auch stolz, und ich hoffe, dass es tatsächlich mal den Weg in die Schulen schafft.
Der Stoff – sprich die Hintergründe wie es zur Machtergreifung von Hitler kam (und die anfängliche Euphorie des „deutschen Volkes“) - ist heute aktueller denn je: welche Lehren sollen wir aus der Vergangenheit – aus Ihrem Buch – ziehen?
Während des Lektorats stellte ich erschreckend fest, dass ich manchmal die Jahreszahl hätte weglassen können, und jeder hätte schwören können, dass das heute in ähnlicher Weise stattfindet. Meine Erkenntnis ist, dass man Ängste von Menschen, seien sie real oder nur geschürt, von Anfang an ernst nehmen muss. Es nützt nichts, als Politiker sich vor laufender Kamera zu äußern, und danach wieder schick von dannen zu ziehen. Ich denke die Politiker müssen sich vielmehr wieder unters Volk mischen, und tatsächlich mitkriegen wie die Stimmungen sind, und warum die Menschen aus Frustration Demagogen hinterher rennen, die ihnen vielleicht das Gefühl vermitteln, sie und ihre Sorgen ernst zu nehmen. Ich will jetzt keinen Vergleich zu 1932 ziehen, aber auch hier haben sich die großen Parteien untereinander eher bekriegt, was denn nun richtig wäre, anstatt sich mal zusammenzurotten, die Tendenzen zu spüren, die zum großen Riss in der damaligen deutschen Bevölkerung führten. Heute sagt die Wissenschaft ganz klar, wenn sich damals alle Parteien zusammengetan hätten, anstelle sich gegenseitig zu bekriegen, hätten die Nationalsozialisten nicht so einen Zulauf bekommen. Das würde ich gerne einfach mal so stehen lassen.
Die Zahl der Neuerscheinungen steigt und steigt. Rund 90 000 Bücher erscheinen jedes Jahr. Sie haben bereits einige sehr erfolgreich Bücher veröffentlicht: Welche Tipps können sie Menschen geben, die ebenfalls Texte veröffentlichen möchten?
Nie aufgeben! Und tatsächlich einfach mal auf Menschen zugehen. Auch wenn man mal enttäuscht wird, man trifft auf jeden Fall jemanden, der einem in irgendeiner Form weiterhelfen kann. Und ich bin überglücklich nach mehreren Versuchen beim Acabus Verlag gelandet zu sein. Ich hoffe, dass da weitere Bücher von mir erscheinen werden.
Käme für Sie Selfpublishing in Frage?
Natürlich. Wenn man wirklich an sein Buch glaubt, ist das ein Schritt, der sehr legitim ist. Und mittlerweile ist die Technik so weit, dass man wirklich hervorragende Bücher damit auf den Markt bringen kann. Ich kann hier nur sehr Robert Merkel und seinen Verlag „franklybooks“ empfehlen.
Was sind ihre aktuellen Projekte?
Im Moment setze ich alles daran, dass mein Roman jetzt verfilmt wird. Es finden schon sehr interessante Gespräche statt…
Lesetermine auf der Leipziger Buchmesse:
Donnerstag, 17. März:
Bürgerverein Waldstraßenviertel e. V.
Hinrichsenstraße 10
04105 Leipzig.
Ab 19:00 Uhr.
Samstag, 19. März:
Signierstunde in Halle 5
D 504 (Acabus-Verlag).
14:00 Uhr bis 14:30 Uhr
Forum Literatur „Buch aktuell“.
Halle 3 Stand E 401.
17:00 Uhr lese ich im