Victor Klemperer gilt durch seine Werk zu Recht als einer der bedeutendsten Chronisten der Zeit zwischen 1900 und 1945. Gerade, weil er als geborener Jude und späterer Konvertit zum protestantischen Glauben es geschafft hat, im perfiden System des Nationalsozialismus zu überleben und als solch ein Überlebender uns, als die nachfolgenden Generationen, direkt mit seinen echten Erfahrungen zu versorgen.
Klemperer (1881-1960) ist vielen ein Begriff durch seine im Jahr 1995 im Aufbau Verlag veröffentlichten Tagebücher und viele andere Werke:
- Ich will nicht Zeugnis ablegen bis zum letzten
- Lingua Tertii Imperii: Sprache des Dritten Reiches
- die Bände Curriculum Vitae (1881–1918)
- Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum (1918–1932)
- So sitze ich denn zwischen allen Stühlen (1945–1959)
Seine dieses Jahr erschienenes „Man möchte immer weinen und lachen in einem: Revolutionstagebuch 1919“, ist eine überraschendes noch fehlendes Mosaiksteinchen im Leben des Victor Klemperer. Außerdem wird der Leser in diesem Buch, mit einer den meisten Deutschen doch recht unbekannten Zeit, bekannt gemacht: der Münchener Räterepublik.
Das Buch umschreibt, wie der Titel schon bekannt gibt, die Zeit 1918-1919 - die Jahre nach dem Ende des fürchterlichen europäischen Massakers - dem 1. Weltkrieg- einer Zeit in der Deutschland dominiert wurde von Soldatenräten- Parteienkonflikten und Profilierungsversuchen von künftigen Politikern.
Klemperer, nicht mehr ganz jung, bekommt durch einen Bekannten, den Nationalkonservativen Harms, das Angebot für die „Leipziger Neuesten Nachrichten“- einem sehr konservativem Leipziger Blatt - aus München zu berichten. Unter dem Pseudonym Antibavaricus: A.B. - beginnt er in München seine Tätigkeit.
Gerade und wegen seines Alters und seiner Lebenserfahrung sieht er die gesamte Revolutionsbewegung in München mehr als skeptisch. Vor seinem Auge spielen sich Dissonanzen zwischen dem bürgerlichen Einerlei in München und den sogenannten Revolutionären ab- Klemperer berichtet mit ruhigem Auge von den Zuständen- er fühlt sich zu keiner Gruppierung zugehörig und das macht dieses Buch zu einem glaubhaften Zeitdokument.
Er reflektiert schon sehr genau die ersten judenfeindlichen Auswüchse zu dieser Zeit obwohl er gleichermaßen festhält, dass die Preußen völlig verhasst sind. Es ist nicht ganz klar, wen die Münchener zu der Zeit mehr hassten:
„Ich glaube, wenn man einen echten Spartakus fragt, ob Noske ein Preuß oder ein Jud sei, antwortet er: "Beides." Und fragen Sie einen Münchener Kleinbürger, ob Levien Jud oder Preuß sei, so bekommen Sie die gleiche Antwort: "Beides." Und übrigens stimmt es beidemal nicht.“ Zitat:„Man möchte immer weinen und lachen in einem: Revolutionstagebuch 1919“
Oft hat man aber das Gefühl das ein leicht spöttisches Auge über das Chaos in München berichtet- immer wieder wird der Leser sich fragen- wann ist dies geschrieben? Man findet, so man will, viele Parallelen zum hier und jetzt.
Durch die Ermordung von Kurt Eisner und der bürgerliche Gegenrevolution ab April kommt es zu verstärktem Elend, es gibt Tote und Straßenkämpfe.
Klemperer beginnt ähnlich eines Livetickers, als glaubhafter politischer Journalist zu berichten, der es immer wieder wagt, seine eigene Meinung zu bekunden.
Das Buch endet im Januar 1920 mit der Versteigerung der Bibliothek des ermordeten Kurt Eisners.
Klemperers Aufzeichnungen sind ein wertvoller Lesestoff und äußerst unterhaltsam gerade durch seine Beschreibungen, die wie scharf gezeichneten Bilder auf den Leser wirken.
Das Vorwort zu diesem Buch lieferte Christopher Clark- ein bekannter Historiker, der durch sein Werk als Experte auf dem Gebiet der deutschen Geschichte vom Preußentum bis in die Weltkriege hinein, inklusive Ursache und Wirkung, gilt.
Er umreißt scharf und kurz die historische Situation und beleuchte das Schreiben Klemperers in dieser Zeit.
Tipp: Unbedingt Lesen!
UND:
Lesung: Steffen Mensching liest aus dem „Revolutionstagebuch 1919“ von Victor Klemperer am 28.02.2016 um 19:30 im Tom-Pauls-Theater in 01796 Pirna am Am Markt 3!
Lesung: Steffen Mensching liest aus dem „Revolutionstagebuch 1919“ von Victor Klemperer am 09.03.2016 um 19:30 in der Villa Esche in 09120 Chemnitz, Parkstraße 58!
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