Das literarische Quartett begann am Freitag mit einer handfesten Überraschung. Ausnahmsweise waren sich alle einig und loben Bov Bjergs Roman "Auerhaus". Ganz anders bei Martin Amis"Interessensgebiet".
Das Literarische Quartett uferte am Freitag zeitweise in ein munteres Redegefecht aus, bei dem nicht nur Maxim Biller, sondern auch Christine Westermann das Wort erhoben.
Doch zunächst gab sich das Quarttt einhellig begeistert von Bov Bjergs "Auerhaus".
"Ich habe seit Jahren auf so ein Buch gewartet", sagt Maxim Biller zu seiner Neuvorstellung. "Ich habe ein solches Buch von einem deutschen Autor seit Ewigkeiten nicht gelesen, weil es zugleich sehr leicht geschrieben, mit Cliffhangern und Aussparungen besonders komponiert ist, es hat manchmal eine fast babelhafte Knappheit in der Beschreibung der Szenen und gleichzeitig geht es um ein sehr schweres Thema. Ein Jugendlicher will sich umbringen und man weiß nicht warum. Je weiter man diesen Roman liest, desto mehr merkt man, dass er an der Kälte des Landes leidet, in dem er lebt. Er leidet an der Kälte der Eltern, die in kalt erziehen, damit er selbst ein kalter Mensch wird und er will es nicht."
"Ein Gymnasiast will sich also in den 80er Jahren umbringen, schafft es nicht und soll nun mit Freunden in eine WG ziehen, um zu sich zu kommen. In diesem Haus leben sie ein Jahr lang zusammen so frei, wie sie nie wieder frei sein werden. "
"Und das eine Jahr in der Freiheit ist so leicht und so tief erzählt. Ein Beispiel: Das Haus, das den Eltern gehört, hat ein Zimmer ohne Fenster. Keiner versteht, was das ist. Bis zum Schluss ist unklar, was für ein Zimmer das ist. Dann erfahren wir: Es war das Kinderzimmer als späte Metapher an diese eigene Jugend."
Daniel Cohn-Bendit lobt die leichte nostalgische Erzählung trotz der Behandlung "dramatischer Dinge" wie ein Schwuler, der sich als Stricher outet oder einer Brandstifterin.
"Ich muss mitjubeln", bekennt auch Volker Weidermann. "Ich finde die Sendung deswegen so toll, weil ich Bücher lese, die ich nicht gelesen hätte."
Auch Christine Westermann ist überrascht. "Ich denke: Oh je, der Biller kommt wieder mit so einem schweren Buch. Und dann lese ich das Buch und bin bewegt, vergnügt und berührt. Es gibt unheimlich schöne sprachliche Stellen, wie etwa: Ich wollte mich nicht umbringen, ich wollte nur sterben."
Allerdings, so weist Maxim Biller hin, handele es sich bei Auerhaus nicht um ein Jugendbuch - es geht hintergründig um Dorfpolizisten,. unterdrückte Mütter und einen herrischen Steifvater.
Umstritten: "Interessensgebiet" von Martin Amis
Daniel Cohn-Bendit stellte "interessensgebiet" vor: Der KZ-Roman von Martin Amis wird aus der Perspektive aus Sicht eines jüdischen Häftlings, eines Sturmbannführers und des Lagerkommandanten, die von einer Liebesgeschichte überspannt wird. Der Sturmbannführer beginnt eine Beziehung zur Frau des Lagerkommandanten. Schon ist es um die Einigkeit in der Runde geschehen.
Maxim Biller sieht in dem Buch vom fiesen, saufenden Lagerkommandanten bis hin zum schulen Häftling so gut wie jedes Klischee über den Holocaust bedient. Biller: "Am geilsten ist die sexsüchtige KZ-Aufseherin." Der Autor habe sämtliche Wikpedia-Einträge zum dritten Reich gelesen und alles durchexerziert. "Das Streberbuch eines Moralisten", konstatiert Biller.
Das bringt die sonst so zurückhaltende Christine Westermann auf die Palme. "Alles Quatsch", faucht sie auf die Kritik von Maxim Biller. Sie hält ebenso wie Cohn-Bendit die Charakere für glaubwürdig und sieht das Wesen von Nazis erklärt. Die ungeheuren Verbrechen der Nazis würden im krassen Gegensatz zum Alltag der Protagonisten dargestellt und seien deswegen so eindrucksvoll.
"Die Straße am Zoo" von Lyriker Dürs Grünheim liegt Volker Weidermann am Herzen. Christine Westermann ist allerdings wenig begeistert: "Nach den ersten 100 Seiten hat es mich immer mehr gelangweilt. Es ist anstrengend zu lesen, weil [der Autor] sich so anstrengt."
Für Daniel Cohn-Bendit gibt das Buch viel vom Lebensgefühl in der DDR wieder,
Die gesamte Sendung sehen sie in der ZDFmediathek.
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