Es gibt Bücher, die sind wie ein gut zusammengestelltes Mixtape: Jede Auswahl wirkt zunächst ein bisschen willkürlich, doch mit dem richtigen Ohr – und Herz – ergibt sich ein Klangbild, das mehr erzählt als eine bloße Aneinanderreihung. Michael Behrendts Playlist zum Glück ist so ein Buch. Es ist kein Ratgeber, sondern eher eine literarisch-akustische Wanderung durch das popkulturelle Seelenleben – irgendwo zwischen Trost-CD, philosophischer Reflexion und kabarettreifem Kommentar zum Zustand des Menschen in der Spätmoderne. Erschienen ist das Buch im Reclam Verlag am 26. März 2025.
Von Kansas bis Beyoncé: Das Leben als Sammlung emotionaler Frequenzen
Behrendts Ausgangspunkt ist ebenso banal wie brillant: Musik begleitet uns durchs Leben – warum also nicht einmal genauer hinschauen, wie sie das eigentlich tut? Die Kapitel sind dabei thematisch gegliedert wie ein gut sortiertes Plattenregal: Es geht um das Universum und uns, um Haltung, Liebe, Resilienz, Veränderung – und natürlich um das Anfangen. Behrendt wählt dabei nicht die üblichen Verdächtigen, sondern setzt auf eine erstaunlich diverse Mischung, die von Dog Eat Dog bis Carole King, von GReeeN bis Alanis Morissette reicht. Selbst Sesame Street und Beyoncé finden ihren Platz – ohne ironisches Augenzwinkern, sondern als ernstgemeinte Hymnen auf Lebensfreude und Selbstfürsorge.
Der Clou dabei: Die berühmten „99 ½ Songs“ sind nicht nur Kapitelüberschriften, sondern tatsächlich über Spotify hörbar. Der QR-Code im Buch führt direkt zur Playlist – eine feine Idee, die zeigt, wie sich analoges Lesen und digitales Hören intelligent verbinden lassen. Und dass ausgerechnet Theodor Shitstorm mit dem „Ratgeberlied“ die halbe Nummer 99 ½ liefert, ist ein Geniestreich mit Pointengarantie.
Klangtherapie ohne Kitsch
Was Behrendt von klassischen Lebenshilfe-Büchern unterscheidet, ist sein Ton: gelassen, humorvoll, manchmal liebevoll spöttisch – aber nie zynisch. Seine Songanalysen sind zugänglich und fundiert, voller pophistorischer Anekdoten und gesellschaftlicher Miniaturen, die einen zwischen Schmunzeln und Stirnrunzeln hin- und herpendeln lassen. Dabei begegnet er den Songs mit Respekt, auch wenn er sich an überinterpretierten oder allzu pathetischen Stellen gern einen Seitenhieb erlaubt.
So wird Playlist zum Glück zu einer Art musikalischem Lebensbegleiter, der keine fertigen Lösungen bietet, aber jede Menge Anregungen. Der Soundtrack ist dabei so vielseitig wie das Leben selbst: mal laut, mal leise, mal pathetisch, mal lakonisch – aber immer mit dem richtigen Taktgefühl.
Eine Playlist zum Lesen und Leben
Michael Behrendts Buch ist kein Ratgeber, kein Essayband und kein Pop-Feuilleton im klassischen Sinn – es ist eine Einladung. Eine Einladung, Musik nicht nur zu hören, sondern sie wieder ernst zu nehmen als das, was sie schon immer war: eine Ausdrucksform für das, was sich oft nicht in Worte fassen lässt. Wer sich darauf einlässt, wird nicht nur neue Songs entdecken, sondern auch neue Seiten an sich selbst.
Und wer weiß: Vielleicht rettet dann tatsächlich der nächste DJ dein Leben. Oder zumindest dein Gemüt.
Über den Autor
Michael Behrendt, Jahrgang 1959, ist freiberuflicher Lektor, Redakteur beim PIER F Magazin, Musikjournalist und Sachbuchautor mit einem besonderen Blick für die poetischen (und manchmal absurden) Feinheiten von Pop-Lyrics. Auf seinem Blog tedaboutsongs.60herz.de und bei faustkultur.de schreibt er regelmäßig über Songs, die mehr sagen, als man beim ersten Hören denkt.
Sein Reclam-Vorgänger Mein Herz hat Sonnenbrand widmete sich schiefen bis irrwitzigen Songtexten aus sechs Jahrzehnten deutscher Popmusik. Mit Playlist zum Glück erweitert er nun das Spektrum – und legt ein leidenschaftliches Plädoyer für die emotionale Kraft der Musik vor.
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