Mit „Alle gegen alle“, erschienen im März 2024 bei Voland & Quist, legt Lara Ermer ein literarisches Debüt vor, das ebenso schmerzhaft wie hellsichtig ist. Es ist ein Roman über eine Generation, die von ihrer Zukunft betrogen wurde, über die Perversion des Wettbewerbsdenkens, über Leistungsdruck als Lebensmotto. Und es ist ein bitterböses, sprachlich pointiertes Experiment mit unserer kollektiven Angst vor dem Scheitern.
„Alle gegen alle“ von Lara Ermer – Ein scharfsinniger Schlag in die Magengrube unserer Gegenwart
Worum geht es in „Alle gegen alle“?
Eine Gruppe junger Menschen wird in einem heruntergekommenen Schulgebäude untergebracht, das als Schauplatz eines mysteriösen sozialen Experiments dient. Kameras überwachen sie. Regeln gibt es kaum, außer einer: Wer gewinnen will, muss überleben. Im Spiel, im Status, in der Sichtbarkeit. Es ist eine Art Reality-TV, das nie ausgestrahlt wird, ein Wettbewerb, dessen Preis niemand kennt. Und doch machen alle mit.
Lara Ermer entwirft ein entlarvendes Szenario, das zugleich verstörend nah an unserer Realität liegt. Ihre Protagonist:innen sind Kinder einer Gesellschaft, in der Empathie Schwäche bedeutet und Erfolg mit Exklusion beginnt. Es ist ein Roman über das Erbarmungslose im Alltag, über das Ständige-Messen, über Angst als Währung.
Die Figuren: So echt wie unbequem
Was Ermer besonders gelingt: Ihre Charaktere sind nicht gefällig, sie sind widersprüchlich, verletzlich, manchmal abstoßend, oft irritierend menschlich. Die Leser:innen begegnen keinem simplen Gut-und-Böse-Schema. Vielmehr wird ein Mikrokosmos entworfen, in dem jede Figur für ein bestimmtes Symptom unserer Zeit steht:
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Die Überangepasste, die immer funktioniert.
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Der Hyperreflektierte, der alles ironisiert.
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Die Radikale, die zuspitzt, weil sie anders nicht mehr gehört wird.
Alle gegen alle heißt nicht nur der Titel, sondern das Grundprinzip dieser sozialen Versuchsanordnung. Freundschaft, Vertrauen, Solidarität? Zerfallen zu Lippenbekenntnissen, sobald der Gruppendruck steigt.
Gesellschaftskritik mit Klinge statt Skalpell
Ermer ist keine Autorin der leisen Andeutung. Ihre Kritik ist klar, manchmal brutal direkt, aber nie platt. Sie zeigt, wie ein System funktioniert, das seine Jugend verheizt, indem es ihnen ständig suggeriert: Du bist deines eigenen Glückes Schmied – und wenn du scheiterst, dann eben allein.
Ihre Sprache ist brüchig, wuchtig, rhythmisch. Die Dialoge erinnern an das Sprechen der Generation TikTok – abgehackt, ironisch, immer auf der Hut. Und genau darin liegt die literarische Kraft des Textes: Er imitiert nicht nur den Ton der Zeit, er demontiert ihn von innen.
Fragmentiert, brutal ehrlich, bewusst uneindeutig
Der Roman ist kein linear erzähltes Drama. Stattdessen setzt Ermer auf Perspektivwechsel, überschneidende Stimmen, Brüche im Erleben. Es entsteht ein kaleidoskopisches Bild einer Jugend ohne Halt, ohne klare Linie, ohne Garantien.
Die Struktur folgt der inneren Zersplitterung ihrer Figuren. Leser:innen werden nicht durch die Handlung geführt, sondern in sie hineingeworfen. Wer durchhält, wird nicht belohnt – aber mit Erkenntnis konfrontiert. Und genau das macht diesen Text so kraftvoll.
Über die Autorin: Lara Ermer
Lara Ermer, geboren 1995 in Erlangen, ist Lyrikerin, Kabarettistin und Literaturperformerin. Sie wurde durch Poetry Slams und Spoken-Word-Formate bekannt, bevor sie mit „Alle gegen alle“ ihren ersten Roman vorlegte. Ermer studierte Psycholinguistik und bringt ein ausgeprägtes Gespür für Sprache, Wirkung und Publikum mit.
Ihr Werk ist durchdrungen von Gesellschaftssinn und Sprachspiel, von Ernsthaftigkeit und lakonischem Humor. Mit „Alle gegen alle“ beweist sie, dass sie nicht nur Bühnen, sondern auch Bücher zum Beben bringen kann.
Ein Roman wie eine Live-Reportage aus dem Innersten einer erschöpften Gesellschaft
„Alle gegen alle“ ist kein Buch, das man nebenbei liest. Es fordert heraus. Es schreit, flüstert, zieht weg und konfrontiert. Es macht sichtbar, wie brutal Normalität geworden ist. Und wie still wir das hinnehmen.
Ermers Debüt ist unbequem – gerade deshalb ist es wichtig. Wer den Mut hat, sich diesem Text zu stellen, wird vielleicht nicht getröstet. Aber definitiv nicht mehr dieselbe Person sein wie zuvor.
Für wen ist dieses Buch?
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Leser:innen, die sich für radikale Gegenwartsliteratur interessieren
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Fans von Sibylle Berg, Verena Günther, Karen Köhler
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Menschen, die bereit sind, sich mit den Abgründen unserer sozialen Wirklichkeit auseinanderzusetzen
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Junge Erwachsene, Studierende, politisch Wache