Die Hallen der Buchmesse knisterten wieder – nicht nur vor Papier, sondern vor Erwartung. Wie jedes Jahr trat Denis Scheck im Format „Best of Druckfrisch“ auf den Plan, um eine Auswahl jener Bücher zu präsentieren, die, ginge es nach ihm, das Rückgrat eines jeden ernstzunehmenden Lesens bilden sollten. Und wie jedes Jahr fragt man sich: Kunstgriff oder Kanon? Schecks Liste changiert auch 2025 zwischen Hochfeuilleton und stiller Entdeckung, zwischen lautem Debüt und kluger Rückbesinnung. Hier für interessierte der Link vom Video.
Die Bestenliste mit Augenzwinkern – Denis Scheck kuratiert die literarische Wirklichkeit
Zwischen Glanz und Grauzone – die Romanauswahl
Dass Chimamanda Ngozi Adichie (Dream Count, S. Fischer) auf dieser Liste erscheint, überrascht kaum. Ihre Bücher gehören mittlerweile zum globalen Pflichtbestand – dabei gelingt es ihr, auch in diesem Roman, mit zarter Wucht politische Zeitdiagnostik in persönliche Geschichten einzubetten. Deutlich leiser, aber nicht minder eindrücklich bewegt sich Kristine Bilkau durch die psychogeografischen Ränder Deutschlands (Halbinsel, Luchterhand) – dort, wo das Meer beginnt und die Sicherheiten enden.
Martin Mosebach gibt den Konservativen mit Sinn fürs Sakrale (Die Richtige, dtv), während Christian Kracht, erwartungsgemäß unberechenbar, mit Air (Kiepenheuer & Witsch) eine Art literarische Luftspiegelung liefert, in der Coolness und Kosmopolitismus auf absurde Weise zusammengehen.
Unter den deutschsprachigen Stimmen sorgt Antje Rávik Strubel mit Der Einfluss der Fasane (S. Fischer) für das feine Rauschen im literarischen Unterholz, und Julia Schoch (Wild nach einem wilden Traum, dtv) setzt ihre autobiografisch grundierte Erzählreihe fort – präzise, klug, nie anbiedernd. Auch Vigdis Hjorth ist wieder dabei (Wiederholung, S. Fischer), ihre Prosa bleibt eine Übung in norwegischer Nervenschärfung.
Dass sich unter den Titeln auch ein Buch wie Als sei alles leicht von Elfi Conrad (Mikrotext) findet, spricht für Schecks Spürsinn – Mikroverlage tauchen in solchen Listen selten genug auf, dabei ist es oft ihre Radikalität, die dem literarischen Betrieb die nötige Sauerstoffzufuhr verschafft.
Krimis, Biografien, Klassiker – die zweite Reihe mit Charakter
Mit Dorothy L. Sayers' Hochzeit kommt vor dem Fall (Wunderlich) und Richard Osmans Wir finden Mörder (List) schickt Scheck zwei Krimis ins Rennen, die sich weder auf Blutorgien noch auf billige Twists verlassen. Osman bleibt charmant britisch, Sayers ist ohnehin eine Zeitreisende aus besseren Krimitagen.
Die Biografien in Schecks Liste sind alles andere als dröge Datensammlungen. Ob Alexander Sollochs Porträt des anarchisch-charmanten Übersetzers Harry Rowohlt (Ein freies Leben, Kein & Aber) oder die wunderbar skurrile Hommage an Edward Gorey von Walter Moers – hier wird das Leben selbst zur erzählenswerten Literatur. Und ja: auch Kochbücher schaffen es auf die Liste. Wer je wissen wollte, wie Jean Paul sich in Häppchenform lesen lässt (Beate Roth, Transit), darf sich auf eine literarisch-kulinarische Grenzerfahrung freuen.
Zwischen Goethe und Getränkekarte – die Klassiker und Lyrik
Dass Thomas Manns antifaschistische Radioansprachen (Deutsche Hörer!, S. Fischer) mit einem Nachwort von Mely Kiyak neu aufgelegt werden, passt zu einem Jahr, das mehr als einen Grund zur Wiederbegegnung mit Klartext bietet. Ebenso die Wiederentdeckung von Vicki Baum – deren Werke bei Wallstein in würdiger Ausstattung erscheinen – erinnert daran, dass Bestseller auch literarisch sein können, wenn man sie lässt.
In der Lyrik beweist Scheck Geschmack und Humor: Mascha Kalékos melancholischer Alltag (Ich tat die Augen auf und sah das Helle, dtv) trifft auf Heinrich Steinfests florale Skurrilitäten (Liebeleien mit Wuchsformen, Edition Arthof).
Leseliste oder Lebenskunst?
Denis Schecks Auswahl für 2025 ist weniger Liste als literarische Landkarte. Sie zeigt Ränder und Zentren, öffnet Nebenschauplätze und reißt Schneisen in das Gewohnte. Seine Tipps sind Einladung und Herausforderung zugleich – und wer genau liest, erkennt: Hier geht es nicht nur um Bücher. Es geht um Haltung, Geschmack, Widerstand – und manchmal auch um einen kleinen Schwindel (David Finck, Der Schwindel, Piper), der die Wirklichkeit lesbarer macht.
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Drachen, Drama, Desaster: Denis Scheck rechnet mit den Bestsellern ab
Bald ist es wieder soweit: Leipzig wird zum Literaturhotspot
Denis Scheck über die Spiegel-Bestsellerliste
Denis Scheck ist am 13. April zurück mit „Druckfrisch“
Leipziger Buchmesse 2025: Bücher, Debatten und Cosplayträume
Peggy Patzschke „Bis ans Meer“ – Ein Roman über Krieg, Erinnerung und die Wunden der Vergangenheit
Internationale Vielfalt auf der Leipziger Buchmesse 2025
Fiktion auf der Anklagebank: "Innerstädtischer Tod" zwischen Kunstfreiheit und Justiz
Denis Scheck erhält den Pfälzer Saumagenorden – Ein literarischer Ritterschlag mit Humor
„100 Seiten sind genug. Weltliteratur in 1-Stern-Bewertungen“ von Elias Hirschl
Die SWR-Bestenliste – Januar 2025
Druckfrisch: Denis Scheck
"... wie eine Art Stiftung Warentest" Denis Scheck über seine Arbeit als Kritiker
Denis Scheck kocht. Nicht nur beim Blick auf die Bestsellerliste
Denis Schecks "Anti-Kanon": Sie haben uns tatsächlich zugetraut, Bücher zu verbrennen
Aktuelles
Ein Haus für Helene

Claudia Dvoracek-Iby: mein Gott

Claudia Dvoracek-Iby: wie seltsam

Marie-Christine Strohbichler: Eine andere Sorte.

Der stürmische Frühlingstag von Pawel Markiewicz
„Der Gesang der Flusskrebse“ – Delia Owens’ poetisches Debüt über Einsamkeit, Natur und das Recht auf Zugehörigkeit
„Der Duft des Wals“ – Paul Rubans präziser Roman über den langsamen Zerfall einer Ehe inmitten von Tropenhitze und Verwesungsgeruch
„Die Richtige“ von Martin Mosebach: Kunst, Kontrolle und die Macht des Blicks
„Das Band, das uns hält“ – Kent Harufs stilles Meisterwerk über Pflicht, Verzicht und stille Größe
Magie für junge Leser– Die 27. Erfurter Kinderbuchtage stehen vor der Tür
„Die Möglichkeit von Glück“ – Anne Rabes kraftvolles Debüt über Schweigen, Schuld und Aufbruch
Für Polina – Takis Würgers melancholische Rückkehr zu den Ursprüngen
„Nightfall“ von Penelope Douglas – Wenn Dunkelheit Verlangen weckt
„Bound by Flames“ von Liane Mars – Wenn Magie auf Leidenschaft trifft
„Letztes Kapitel: Mord“ von Maxime Girardeau – Ein raffinierter Thriller mit literarischer Note
Rezensionen
Good Girl von Aria Aber – eine Geschichte aus dem Off der Gesellschaft
Guadalupe Nettel: Die Tochter
„Größtenteils heldenhaft“ von Anna Burns – Wenn Geschichte leise Helden findet
Ein grünes Licht im Rückspiegel – „Der große Gatsby“ 100 Jahre später
"Neanderthal" von Jens Lubbadeh – Zwischen Wissenschaft, Spannung und ethischen Abgründen
