Cemile Sahin: "Kommando Ajax" – Eine rasante Erzählung über Exil, Kunst und Verrat
„An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns. An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns.“— Bertolt Brecht
Mit diesem äußerst treffenden Zitat eröffnet Cemile Sahin ihr Buch – und es gibt die Richtung vor. Kommando Ajax ist ein Roman über Kontrolle und Macht, über den Willen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, und über die Unberechenbarkeit einer Welt, in der das nicht immer möglich ist. Der Roman erscheint am 17. September 2024 im Aufbau Verlag und wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 nominiert.
Ein Kunstraub, eine Familie und ein tödlicher Schuss
Cemile Sahin erzählt die Geschichte einer kurdischen Familie, die sich nach der Flucht aus der Türkei in den Niederlanden eine neue Existenz aufbaut. Doch die Vergangenheit lässt sie nicht los. Während eines spektakulären Kunstraubs tauchen verschollene Gemälde auf, die den ältesten Bruder, Ali Hüseyin, in eine gefährliche Lage bringen. Als bei einer Hochzeit ein Scharfschütze das Feuer eröffnet, verändert sich das Leben der Familie schlagartig. Was wie ein Krimi beginnt, entwickelt sich zu einem vielschichtigen Roman über Exil, Identität und das Ringen um Kontrolle in einer feindlichen Welt.
Erzählweise: Schnell, fragmentarisch, filmisch
Sahin wollte einen Actionroman schreiben – temporeich, dynamisch und mit Humor. Und genau so liest sich Kommando Ajax. Die Szenen wechseln abrupt, Dialoge sind knapp, und die Handlung springt zwischen Zeiten und Perspektiven. Der Text ist mit visuellen Elementen durchzogen, die an Drehbücher oder Social-Media-Memes erinnern und die Leseerfahrung beeinflussen. Die Bilder sind dabei nicht bloß schmückendes Beiwerk, sondern ein integraler Bestandteil des Textes. Sie verstärken oder brechen die Erzählung, stehen in direkter Verbindung zur Handlung und geben dem Roman eine zusätzliche, visuelle Erzählebene. Mit kurzen, präzisen Sätzen erzeugt Sahin einen Sog, der die Geschichte antreibt. Zwischen eskalierender Gewalt und absurder Komik entsteht ein ungewöhnlicher Rhythmus, der die Ruhelosigkeit der Figuren spürbar macht.
Eine Geschichte zwischen Kunst, Politik und persönlichem Schicksal
Der Roman ist nicht nur ein Thriller mit rasantem Tempo, sondern setzt sich intensiv mit Migration, Verlust und Neuanfang auseinander. Die Familie Korkmaz versucht, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, doch immer wieder geraten ihre Pläne aus der Kontrolle. Ali Hüseyins zufällige Entdeckung der gestohlenen Meisterwerke verbindet das familiäre Drama mit einer größeren politischen und gesellschaftlichen Dimension. In einer Welt, in der Kunst als Ware und Machtinstrument fungiert, stellt sich die Frage, wem Erbe und Besitz tatsächlich gehören.
Ein literarisches Experiment zwischen Genres
Sahin verzichtet auf eine klassische Erzählweise und setzt auf eine hybride Form, die Elemente von Krimi, Familiensaga und Sozialdrama verbindet. Ihre Sprache ist klar und schnörkellos, ihre Struktur bricht mit Konventionen. Der Roman greift filmische Erzähltechniken auf – Zooms, Schnitte, Kamerafahrten – und verdichtet sie zu einer literarischen Collage. Bestimmte Phrasen oder Begriffe kehren zurück, Sätze sind teils fragmentarisch, Einzelworte stehen isoliert und unterstreichen die Mechanik der Erzählweise. Das Buch spielt bewusst mit Künstlichkeit, setzt auf eine Mischung aus kühler Distanz und emotionaler Wucht.
Vielschichtig, temporeich, eigenwillig
Kommando Ajax ist ein Roman, der sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Mit einem Gespür für Timing, starke Bilder und eine unkonventionelle Erzählweise schafft Cemile Sahin ein Werk, das moderne Erzählkunst mit klassischen Themen wie Identität, Familie und Macht verbindet. Die Verbindung von Text und Bild, von filmischen und literarischen Elementen, macht das Buch zu einem ungewöhnlichen, aber faszinierenden Leseerlebnis. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer Geschichte belohnt, die fordert, irritiert und nachwirkt.
Über die Autorin
Cemile Sahin, geboren 1990 in Wiesbaden, ist Autorin und Künstlerin. Sie studierte in London und Berlin und wurde für ihre Arbeit mit dem ars viva-Preis für Bildende Kunst ausgezeichnet. Neben ihren Romanen arbeitet sie an multimedialen Kunstprojekten, die sich mit Geschichte, Erinnerung und politischer Identität auseinandersetzen. Ihr literarisches Debüt TAXI machte sie zu einer der spannendsten neuen Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Mit Alle Hunde sterben und Kommando Ajax festigt sie ihren Ruf als Erzählerin, die sich nicht an klassische Muster hält, sondern Text, Bild und filmische Elemente zu einer eigenen, markanten Kunstform verbindet.
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