Robert Habeck: Den Bach rauf – Der schmale Grat zwischen Ehrlichkeit und Inszenierung
Robert Habeck hat ein Buch geschrieben. Eigentlich nicht überraschend, denn er ist jemand, der immer wieder betont, dass Sprache für ihn mehr ist als ein Mittel zum Zweck. Doch dieses Mal geht es nicht um Philosophie oder Prosa, sondern um eine politische Bestandsaufnahme. Den Bach rauf: Eine Kursbestimmung, erschienen am 16. Januar 2025 bei Kiepenheuer & Witsch, ist sein Versuch, seine Zeit als Wirtschaftsminister zu reflektieren, zu erklären, was schiefgelaufen ist – und vielleicht auch, warum nicht alles an ihm lag.
Ein Buch, das sprachlich überzeugt – aber inhaltlich oft ausweicht
Habeck schreibt anders als die meisten Politiker. Wo viele auf technokratische Begriffe oder trockene Zahlen setzen, greift er zu literarischen Anspielungen, philosophischen Zitaten und persönlichen Anekdoten. Er erzählt von Bürokratiemonstern mit Namen wie Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung und darüber, wie er lachte, als ihm jemand sagte, dass allein für eine Genehmigung von 100 Kilometern Stromtrasse 19.000 Seiten Papier nötig seien. Heute, so berichtet er stolz, übernimmt das eine KI.
Diese Art zu schreiben macht das Buch lesbarer als klassische Politikerprosa. Man kann sich vorstellen, Habeck bei einem Kaffee zuzuhören, während er mit leichter Selbstironie über den politischen Alltag spricht. Doch genau hier liegt auch die Schwäche: Während er sich als nahbarer Erzähler inszeniert, bleibt vieles unkonkret. Was ist mit der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre? Wo genau lag die Verantwortung für die Fehlschläge? Das bleibt oft wage, weil die Sprache sich eher auf Stimmung als auf Substanz konzentriert.
Der Wunsch nach Veränderung – ohne klare Antworten
Habeck sieht Deutschland an einem Kipppunkt. Die Krisen der letzten Jahre – Inflation, Populismus, Kriege, wirtschaftliche Unsicherheiten – erfordern aus seiner Sicht eine neue politische Haltung. Er will eine Balance zwischen wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Verantwortung, zwischen Fortschritt und Rücksicht.
Klingt gut. Nur: Wie genau? Habeck ist ein kluger Erzähler, aber kein präziser Analytiker. Er beschreibt Probleme eindrucksvoll, aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, bleibt er oft vage. Besonders in wirtschaftlichen Fragen vermisst man Klartext. Dass er selbst als Wirtschaftsminister oft mit politischen Widerständen und realen Zwängen zu kämpfen hatte, ist klar. Aber genau das hätte er stärker thematisieren müssen, anstatt sich in Metaphern und Andeutungen zu verlieren.
Authentizität oder perfekte Inszenierung?
Habeck kann sich gut in Szene setzen – das war schon immer eine seiner Stärken. Auch in diesem Buch wird das deutlich. Er erzählt von seinen Zweifeln, davon, dass er manchmal einfach nur die Tür hinter sich schließen und nichts mehr hören will. Er vergleicht sich mit Molly Weasley aus Harry Potter, die mit einer magischen Küchenuhr jederzeit weiß, wo ihre Familie ist.
Diese Offenheit macht ihn für viele Menschen sympathisch. Aber genau hier liegt das Problem: Ist es wirklich ehrliche Reflexion oder eine perfekt orchestrierte Selbstinszenierung? Er gibt Fehler zu, aber immer in einer Form, die ihn nicht zu sehr beschädigt. Die ganz großen politischen Streitpunkte – etwa die Energiepolitik oder das Heizungsgesetz – werden kaum angerissen. Kritiker könnten sagen: Er geht zwar den Bach rauf, aber lässt die schwersten Steine am Ufer liegen.
Pragmatiker oder Idealist?
Habeck schwankt zwischen wirtschaftlichem Pragmatismus und grüner Grundüberzeugung. Er plädiert für Innovation, Bürokratieabbau und unternehmerischen Mut, aber gleichzeitig bleibt er staatsinterventionistisch. Besonders in der Debatte um die Schuldenbremse zeigt sich das: Einerseits betont er die Notwendigkeit von Reformen, andererseits wird klar, dass er sie am liebsten abschaffen würde. Seine Argumentation, dass die Zukunft nicht unter heutigen Sparmaßnahmen leiden dürfe, klingt nachvollziehbar – doch bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen?
Die Lücke zwischen Anspruch und Realität
Das größte Problem an Den Bach rauf ist nicht, was Habeck schreibt – sondern was er nicht schreibt. Die Bundestagswahl 2025 hat gezeigt, dass viele Wähler von der Ampel-Politik enttäuscht waren. Habecks Buch liest sich fast wie eine Gegenrede dazu, ein Versuch, sein politisches Erbe selbst zu deuten, bevor es andere tun.
Er fordert Zusammenhalt, eine neue politische Erzählung, einen positiven Blick in die Zukunft. Doch genau das ist ihm als Minister nicht gelungen. Der politische Streit wurde größer, nicht kleiner. Die Wirtschaft hat sich nicht so entwickelt, wie er es erhofft hat. Die Ampel ist gescheitert.
Und genau hier bleibt das Buch eine verpasste Chance. Habeck hätte tiefer gehen können. Er hätte die wirklichen Mechanismen der Politik erklären können, die Zwänge, die Blockaden, die Konflikte hinter den Kulissen. Doch stattdessen bleibt er in wohlklingenden Worten stecken, die oft mehr Atmosphäre als Analyse sind.
Ein Buch, das unterhält – aber nicht genug erklärt
Habeck schreibt gut. Den Bach rauf ist lesbar, manchmal witzig, oft nachdenklich. Wer ihn als Person und Politiker verstehen will, bekommt hier viele Einblicke. Wer wissen will, warum bestimmte politische Entscheidungen so oder so getroffen wurden, wird enttäuscht.
Das Buch bleibt zwischen ehrlicher Bestandsaufnahme und strategischer Imagepflege. Habeck zeigt sich als Grübler, als jemand, der mit sich und der Welt ringt – aber die wirklich harten Fragen spart er aus. Wer also eine tiefgehende Analyse erwartet, wird sie hier nicht finden. Wer eine klug geschriebene, fast literarische Politiker-Erzählung sucht, kann sich mit diesem Buch gut beschäftigen.
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