Essay, Kulturkritik und persönliche Abrechnung „Shitbürgertum“ von Ulf Poschardt

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Eigentlich wollte ich nichts weiter über Poschardts Shitbürgertum schreiben. Das Buch ist längst im medialen Diskurs angekommen, mit all der Aufmerksamkeit, dem Zuspruch und den Verrissen, die es zweifelsohne verdient. Es spaltet, provoziert und zwingt zur Positionierung – genau das ist sein Ziel. Vor allem von linker Seite wird heftig auf das Buch eingeprügelt, was fast wie ein eingeplanter Effekt wirkt. Denn ein Werk wie dieses, das einfach im Sande verlaufen wäre, hätte weder die Qualität noch die Kraft, etwas Wesentliches auszulösen.

„Shitbürgertum“ von Ulf Poschardt „Shitbürgertum“ von Ulf Poschardt Poschardts Streitschrift ist vieles: Essay, Kulturkritik und persönliche Abrechnung. Sie lebt von rhetorischen Zuspitzungen, intellektuellen Anspielungen und einer Sprache, die zwischen scharfsinnig und übertrieben schwankt. UP

Und doch, als ich es las, konnte ich mich dem Sog des Textes nicht entziehen. Ich musste zwischendurch laut lachen – etwa bei den treffend satirischen Beschreibungen der „Lauch-Bourgeoisie“ – und dann wieder scharf nachdenken, ob der Beispiele, die Poschardt nennt. Besonders die Passagen über Günter Grass brachten meinen eigenen Widerspruchsgeist zum Kochen.

Zwischen Essay, Polemik und Abrechnung

Poschardts Streitschrift ist vieles: Essay, Kulturkritik und persönliche Abrechnung. Sie lebt von rhetorischen Zuspitzungen, intellektuellen Anspielungen und einer Sprache, die zwischen scharfsinnig und übertrieben schwankt. Begriffe wie „sadistisches Freakland“, „diskursmächtiger Panzer“ oder „moralisches Mischpult: DJ Böll“ sind gute Beispiele für Poschardts Bildsprache – prägnant, scharf und bewusst provokant. Diese sprachliche Wucht zieht den Leser mit, hat aber ihren Preis: Was anfangs originell wirkt, nutzt sich durch Wiederholungen ab und droht ins Groteske abzurutschen.

Wer von einem Buch wie diesem eine klare Argumentationslinie erwartet, wird enttäuscht. Die Mischung aus Essay, kulturhistorischem Kommentar und polemischer Attacke ist fragmentarisch und sprunghaft. Aber genau das macht den Text auch lebendig. Wer sich auf den polemischen Stil einlässt, bekommt keine analytische Abhandlung, sondern ein rhetorisches Schlachtfeld, das unterhält, provoziert und zum Nachdenken zwingt.

Inhaltlich zwischen Analyse und Anklage

In Shitbürgertum beschreibt Poschardt eine moralisch selbstgefällige, kulturdominierende Elite, die er als „Shitbürger“ bezeichnet. Seine Angriffe auf die Nachkriegskultur, insbesondere auf Figuren wie Günter Grass, Walter Jens und Heinrich Böll, sind dabei exemplarisch für die Pauschalisierung, die sich durch das Buch zieht. Grass wird fast ausschließlich auf seine Waffen-SS-Mitgliedschaft reduziert, Böll als „moralischer Kitschier“ abgetan – Zuschreibungen, die ihren Biografien jede Tiefe nehmen.

Trotz dieser oft überzogenen Vereinfachungen gelingt es Poschardt, die moralische Selbstinszenierung und den Kontrollwahn des „Shitbürgertums“ an einigen Stellen präzise herauszuarbeiten. Besonders seine Kritik an der „gesäuberten Hochkultur“ und an Triggerwarnungen trifft einen Nerv, auch wenn sie manchmal nur die Oberfläche kratzt. Die kulturellen und politischen Mechanismen hinter diesen Phänomenen hätte ich mir noch tiefer beleuchtet gewünscht – hier verschenkt das Buch viel Potenzial.

Die „Lauch-Bourgeoisie“ – Feinsinnige Gesellschaftsdiagnose

Eines der besten Kapitel des Buches ist ohne Frage „Die Lauch-Bourgeoisie“. Hier zeigt Poschardt, dass er nicht nur polemisch zuspitzen, sondern auch präzise analysieren kann. Er beschreibt eine gesellschaftliche Schicht, die sich durch Opportunismus, moralische Selbstinszenierung und infantile Ästhetik („bunte Kostüme, weiße Turnschuhe“) auszeichnet. Seine scharfsinnige Beobachtung verbindet er mit feiner Ironie, wenn er über die „Pädagogik der Angst“ schreibt:

„Die Lauch-Bourgeoisie lebt von einer Pädagogik der Angst. Ihre Stärke ist die Schwäche: Anpassung wird zur höchsten Tugend erhoben.“

Ich musste an einigen Stellen laut lachen, besonders wenn Poschardt die absurden Rituale dieser Schicht beschreibt: „Umarmungsrituale in veganen Bowl-Bars“ oder die Konformität, die durch den Konsum der immer gleichen Werte (und Marken) unterstrichen wird. Dieses Kapitel hebt sich sprachlich und inhaltlich von anderen Abschnitten ab. Hier gelingt Poschardt eine präzise und feinsinnige Sezierung, die mehr nachdenklich macht als ärgert – ein Highlight des Buches.

Die menschliche Note hinter der Polemik

Trotz aller Schärfe bleibt Shitbürgertum an manchen Stellen erstaunlich menschlich. Besonders das Kapitel „Selbsttherapie“ zeigt, dass Poschardt mehr will als nur destruktive Kritik. Sein Vorschlag, dass das Shitbürgertum sich selbst therapieren solle, indem es Ambivalenzen akzeptiert und Verantwortung übernimmt, zeigt eine fast versöhnliche Seite:

„Der Mensch des Shitbürgertums muss lernen, mit Widersprüchen zu leben, statt sich in einer gesäuberten Moralwelt zu verstecken.“

Diese Idee wirkt idealistisch und gleichzeitig ironisch. Dennoch hebt sich das Kapitel durch seinen fast sanften Ton vom Rest des Buches ab. Es ist ein Versuch, den gescholtenen Eliten einen Weg aufzuzeigen, ihre Position zu überdenken – ein Hoffnungsschimmer in einem ansonsten zynischen Werk.

Polarisierend, roh und streitbar

Shitbürgertum ist keine leichte Kost. Es ist ein Buch, das nicht erklären oder vermitteln will, sondern mit voller Absicht provoziert. Die Sprache ist einnehmend und abstoßend zugleich: kraftvoll, aber oft überladen; präzise, aber manchmal ins Groteske abgleitend.

Die Stärke des Buches liegt in seiner Fähigkeit, festgefahrene Narrative aufzubrechen und zur Auseinandersetzung zu zwingen. Doch diese Stärke wird durch Redundanz und Pauschalisierungen geschwächt. Poschardt polarisiert, wo er differenzieren könnte, und schneidet Themen an, wo tiefere Analysen notwendig wären.

Trotzdem oder gerade deshalb hat Shitbürgertum einen Platz in der aktuellen Debatte verdient. Es ist ein Werk, das unterhält, provoziert und die Widersprüche unserer Gesellschaft in den Fokus rückt. Wer bereit ist, sich auf den polemischen Stil einzulassen, wird hier nicht nur irritiert, sondern auch inspiriert – und das macht dieses Buch trotz aller Schwächen lesenswert.

Lob, Kritik und Ablehnung

Die Reaktionen auf Shitbürgertum in den Medien sind so kontrovers wie das Buch selbst. Konservative Stimmen fanden in Poschardt einen Verbündeten, während liberale und linke Medien teils heftig ablehnend reagierten.

Die Zeit:

Die Zeit (Alexander Cammann) beschreibt Ulf Poschardts Shitbürgertum als ein provokatives Manifest gegen die links-grüne Dominanz, das in seiner Widersprüchlichkeit und Faszination für disruptive Figuren wie Trump und Milei eher spaltet als aufklärt, und vergleicht es mit Robert Habecks konträrem, aber ebenfalls elitärem Politikstil als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen Grabens.

"Nun offenbart schon der Titel, dass hier jemand wild mit der Lichthupe rast; das ist ein diagnostisches Problem. Poschardt meint mit Shitbürgertum jene kulturell zweifellos dominanten grünennahen Mittelschichten von heute, die aus seiner Sicht die liberalen bürgerlichen Werte verraten und sich stattdessen mit dem Staat verbündet haben zwecks Machtgewinn."

Artikel Lichthupe am Ende des Tunnels

Berliner Zeitung:

Die Berliner Zeitung (Tomasz Kurianowicz) beschreibt, wie Ulf Poschardt in Shitbürgertum das links-liberale Bürgertum als heuchlerische Elite kritisiert, die moralische Überlegenheit inszeniert, während sie ihre eigenen Privilegien schützt, und wie er nach der Ablehnung durch Verlage seine Streitschrift als provokative Selbstpublikation inszeniert.

„Mit einer unheilvollen Mischung aus Anmaßung und Untertanengeist inszeniert sich der Shitbürger als moralisch überlegener Retter der Welt – verteidigt dabei jedoch vor allem seine eigenen Privilegien und Interessen.“
Artikel Ulf Poschardt verlegt Buch „Shitbürgertum“ im Selbstverlag

FAZ:

Und Philipp Krohn von der FAZ beschreibt, dass Ulf Poschardts Essay Shitbürgertum das Potenzial verfehlt, die Widersprüche des linken Bürgertums präzise zu analysieren, da es durch polemische Übertreibungen, Verallgemeinerungen und die Verklärung fragwürdiger Figuren wie Donald Trump und Javier Milei eher Spaltung als Reflexion fördert.

„Man wünschte sich jemanden, der die Probleme des linken Bürgertums so klar erkennt wie Poschardt, aber für die Gefahren des Autoritarismus auf der Welt mehr Sensibilität hätte.“
Artikel Abrechnung mit einem Milieu

NZZ:

Im Interview der NZZ (Claudia Schwartz) mit Poschardt kritisiert er die links-grüne Elite in Deutschland als selbsternannte „Gatekeeper“ der öffentlichen Meinung und sieht deren schwindende Deutungshoheit als Zeichen für einen notwendigen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Individualität und Freiheit.

„Dieses Shitbürgertum ist schon wahnsinnig nervös, weil seine Deutungshoheit schwindet, ebenso wie die Rolle als Gatekeeper. Die entscheiden, das ist Demokratie, das nicht, das ist Meinungsfreiheit, das nicht, das ist akzeptabel, das nicht.“
Artikel «Merz führt einen Wahlkampf der Angst, man merkt richtig, wie der sich nichts mehr traut»

taz:

Die taz (Konstantin Nowotny) kritisiert Ulf Poschardt dafür, ein konstruiertes links-grünes Feindbild als Bühne für seine Selbstinszenierung zu nutzen, während er intellektuell und inhaltlich auf dieses Milieu angewiesen bleibt.

„Eigentlich möchte man ihn doch beglückwünschen, denn nach Jahren des Klagens gegen sein herbeigeschriebenes Feindbild befindet sich Ulf Poschardts politische Wahnvorstellung offenbar auf dem Rückzug. Aber wo Freude sein müsste, jammert es.“
Artikel Willst du mein Freund sein?

Jacobin:

Das Magazin Jacobin (Ole Nymoen) beschriebt die Widersprüchlichkeit und Polemik, die Poschardts Stil prägen und gezielt genutzt werden, um Aufmerksamkeit und wirtschaftlichen Erfolg zu generieren. Es hieß:

"An einem Tag lobt Poschardt die Binnenpluralität seiner eigenen Zeitung, am nächsten fordert er, dass seine Gegner ›umfassend zerstört‹ werden. Heute macht er den ›Elfenbeinturm‹ verächtlich, morgen schreibt er dann wie ein schlechter Ableger der Frankfurter Schule."
Artikel Der Elfenbeinturm unter sich




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