Meinung Echt jetzt? Absage von Ulf Poschardts Shitbürgertum – ein Lehrstück über Debattenkultur und Verlagsängste

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Man muss ihn nicht mögen. Wirklich nicht. Weder seine Meinung noch seinen Schreibstil. Aber Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, ist ohne Zweifel ein erfolgreicher Journalist, der zu polarisieren versteht – und das in einer Zeit, in der Debattenkultur oft zwischen Moralkeule und Cancel Culture zerrieben wird. Die Absage seines Essaybands Shitbürgertum durch den zu Klampen! Verlag wirft nicht nur Fragen auf, sondern lässt einen unwillkürlich innehalten: Echt jetzt?

Ulf Poschardt Ulf Poschardt Absage des Essaybandes: Shitbürgertum Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, CC BY-SA 4.0

Von Polemik und ihren Grenzen

Poschardt wollte mit Shitbürgertum nicht weniger als den „neuen Sozialcharakter“ unserer Zeit entlarven: den „Shitbürger“. Diese Figur – laut Poschardt eine Mischung aus Arroganz, Opportunismus, Unterwürfigkeit und moralischer Überheblichkeit – steht exemplarisch für die Ambivalenz eines Milieus, das zwischen Weltrettung und Eigeninteresse changiert. Doch während Poschardt diese Analyse als gesellschaftliche Provokation verstand, empfand die Herausgeberin Anne Hamilton seinen polemischen Stil als „problematisch“. Das Buch sollte Teil einer von Anne Hamilton herausgegebenen Essayreihe sein, die sich mit Politik, Philosophie, Gesellschaft und Kunst beschäftigt. Ziel dieser Reihe ist es, „die Analyse eines sozialen Typus zu liefern, in dem sich Arroganz und Untertanengeist, Selbstbehauptung und Opportunismus auf unheilvolle Weise vermischen“. Dass gerade ein Essay, der diese Widersprüche zum Thema macht, dann an seinem polemischen Ton scheitert, lässt die Frage aufkommen: Haben wir als Gesellschaft so große Angst vor scharfen Tönen, dass wir den Dialog ersticken, bevor er überhaupt beginnt?

Der politische Kontext: Mehr als nur ein Buch

Die Entscheidung des Verlags hat längst den Rahmen einer internen Verlagsangelegenheit gesprengt. Politiker wie Wolfgang Kubicki kritisieren öffentlich (auf X), dass Verlage zunehmend „liberale Provokationen“ meiden. Die Absage erscheint so nicht nur als Reaktion auf einen polemischen Stil, sondern auch als Symptom einer gesellschaftlichen Vorsicht, die jede intellektuelle Zuspitzung als Risiko begreift. „Gefährdung der freiheitlichen Selbstbehauptungskräfte“ nennt Kubicki dies – eine Formulierung, die so theatralisch wie bezeichnend ist.

Doch hat Kubicki recht? Spiegelt die Absage tatsächlich einen gesellschaftlichen Trend, der intellektuelle Debatten mundtot macht? Oder handelt es sich schlicht um einen Fall von schlechter Chemie zwischen Autor und Herausgeberin?

Was will der „Shitbürger“?

Poschardts Konzept des „Shitbürgers“ trifft ins Mark. Ob man der These zustimmt oder nicht: Der Begriff provoziert, und genau das war sein Ziel. Der „Shitbürger“ ist nicht nur eine Metapher für ein Milieu, das Selbstgerechtigkeit und Weltrettung in den sozialen Medien kultiviert, sondern auch eine scharfe Kritik an einer Gesellschaft, die moralische Haltung oft mit moralischer Überlegenheit verwechselt.

Natürlich ist der Begriff drastisch. Aber sollte das nicht Anstoß für Diskussionen sein, statt sie zu blockieren? Der zu Klampen! Verlag sah das offenbar anders. Doch statt klar Stellung zu beziehen, versteckte man sich hinter der Aussage von „unterschiedlichen Vorstellungen“. Eine Haltung, die ebenso vage wie entwaffnend wirkt.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete zuerst über die Absage, und seitdem hat sich das Thema zu einer breiten Diskussion über die Grenzen intellektueller Provokation entwickelt.

Polemik oder Feigheit?

Poschardt selbst hat sich bereits zu seiner Enttäuschung über die Absage geäußert, bleibt aber erstaunlich gelassen (auf X). Für einen Provokateur seiner Klasse fast schon überraschend. Aber was sagt das über den Verlag aus? Die Entscheidung mag aus strategischen Gründen nachvollziehbar sein – Poschardts Buch hätte kontrovers und polarisierend gewirkt, und nicht jeder Verlag ist bereit, sich in den Sturm der öffentlichen Meinung zu stellen. Doch ist das nicht genau die Aufgabe eines Verlags, der sich anspruchsvoller Essayistik verschrieben hat?

Die Absage wirft die Frage auf, wie viel Risiko sich Verlage in Zeiten von Twitter-Mobs und digitalen Boykottkampagnen noch zutrauen. Sicher, es geht auch um wirtschaftliche Interessen. Doch der Rückzieher signalisiert, dass intellektuelle Freiheit immer mehr der Angst vor Shitstorms weicht. Ein bedenklicher Trend.

Mediale Resonanz: Ein Eigentor?

Ironischerweise hat die Absage genau das bewirkt, was Verlage eigentlich vermeiden wollen: Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung über die Kontroverse hat Poschardt und sein Buch in den Mittelpunkt einer politischen und gesellschaftlichen Diskussion katapultiert, die längst über den ursprünglichen Kontext hinausgeht. Egal, ob Shitbürgertumjemals erscheint – es hat bereits für Furore gesorgt. Und vielleicht zeigt das mehr über unsere Zeit, als es Poschardts Essay jemals hätte tun können.

Was bleibt?

Die Debatte um Shitbürgertum ist ein Symptom unserer Zeit: einer Zeit, in der Debattenkultur oft nur auf dem Papier existiert, während jede Form von Zuspitzung als Gefahr wahrgenommen wird. Sicher, Poschardt polarisiert. Sicher, sein Stil ist provokant. Aber ist das nicht genau der Punkt? Ein Autor wie Poschardt zwingt uns, uns mit unbequemen Themen auseinanderzusetzen. Ihn mundtot zu machen, bedeutet, diese Auseinandersetzung zu verweigern.

Am Ende bleibt die Frage: Wollen wir Bücher, die Debatten anstoßen, oder Bücher, die niemanden stören? Poschardt mag polarisieren, aber er ist kein Feind der Gesellschaft, sondern ein Akteur, der sie herausfordert. Und vielleicht braucht unsere Debattenkultur genau das.


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