Das Deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA) hat mit der Übernahme der Archive des Münchner Hanser Verlags und der renommierten Literaturzeitschrift „Akzente“ einen Meilenstein für die Literaturforschung gesetzt. Diese Sammlung, die mit Unterstützung der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der Wüstenrot Stiftung und privater Spender ermöglicht wurde, bereichert die Bestände des DLA um eine zentrale Quelle für die Literatur- und Verlagsgeschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Claudia Roth würdigte die Sammlung als „eine wertvolle Ressource für die Erforschung der deutschen Literatur“, die die Marbacher Sammlungen „außerordentlich bereichert.“
Umfang und Bedeutung der Archive
Das Hanser-Archiv ist eine der umfangreichsten und systematisch geordneten Sammlungen dieser Art: 2.500 Archivkästen – das entspricht etwa 5.000 Aktenordnern – dokumentieren die Produktions-, Verlags- und Rezeptionsgeschichte eines der bedeutendsten Literaturverlage im deutschsprachigen Raum. Neben Manuskripten und Verträgen sind auch umfangreiche Korrespondenzen zwischen Autoren, Lektoren und Verlagsmitarbeitern Teil der Sammlung.
Auch das Archiv der bis Herbst 2023 im Hanser Verlag erschienenen Zeitschrift „Akzente“ ist Teil des Neuzugangs. Die Zeitschrift prägte über Jahrzehnte hinweg den literarischen Diskurs und bot namhaften wie aufstrebenden Autoren eine Plattform. Die Direktorin des DLA, Sandra Richter, betonte, dass mit der Übernahme des Hanser-Archivs „eine bedeutende Lücke“ geschlossen werde. Dieses Archiv stehe „wie wenige andere besonders für internationale Literatur in Deutschland“ und sei ein essenzieller Baustein für die Sammlung in Marbach.
Autoren und Werke: Ein Spiegel der internationalen Literatur
Das Hanser-Archiv vereint die Werke und Korrespondenzen zahlreicher namhafter Autoren, darunter mehrere Nobelpreisträger wie:
- Elias Canetti
- Herta Müller
- Tomas Tranströmer
- Mo Yan
- Orhan Pamuk
- Patrick Modiano
- Seamus Heaney
- Derek Walcott
Neben diesen prämierten Schriftstellern finden sich Dokumente von herausragenden Gegenwartsautoren wie Umberto Eco, Susan Sontag, Philip Roth, Milan Kundera, W.G. Sebald und Botho Strauß. Diese Namen verdeutlichen die Reichweite des Hanser Verlags, der sich durch ein internationales und anspruchsvolles literarisches Programm auszeichnet. Jo Lendle, Verleger des Hanser Verlags, erklärte, dass das Archiv „Zeugnis ablegt von der Entstehung zentraler Werke der vergangenen Jahrzehnte“ und der Öffentlichkeit „zugänglich gemacht“ werde.
Perspektiven für Forschung und Öffentlichkeit
Die Übernahme dieser außergewöhnlichen Sammlung bietet neue Möglichkeiten, die Entstehung und Verbreitung von Literatur zu erforschen. Das DLA wird unter anderem untersuchen, wie Werke über Sprach- und Landesgrenzen hinweg rezipiert und adaptiert wurden. Die Forschungslinie „Wie Literatur entsteht – Literatursoziologie“ des DLA, die bereits auf eine Vielzahl von Verlagsarchiven zurückgreift, wird durch die Hanser-Dokumente erheblich bereichert.
Ein besonderer Fokus liegt zunächst auf der Erschließung eines Kernbestands von rund 600 Archivkästen, der die wichtigsten Korrespondenzen der Verlagsleitung und der Lektorate enthält. Diese Unterlagen bieten sowohl Wissenschaftlern als auch Literaturinteressierten Einblicke in die Entstehungsprozesse literarischer Werke und beleuchten den kreativen Dialog zwischen Verlagen und Autoren.
Auch die Öffentlichkeit soll von diesem Kulturschatz profitieren: Tagungen, Ausstellungen und weitere Veranstaltungsformate sind geplant, um die Bedeutung des Archivs für die Literaturgeschichte zu vermitteln. Philip Kurz, Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung, hob hervor, dass „der umfassende Quellenbestand des Hanser-Archivs neue Möglichkeiten bietet, sich mit der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu befassen.“
Der Hanser Verlag: Tradition und Weltoffenheit
Der 1928 in München gegründete Carl Hanser Verlag gehört zu den wenigen Verlagen im deutschsprachigen Raum, die sich noch in Familienbesitz befinden. In den Nachkriegsjahren wurde er mit hochwertigen Ausgaben literarischer Klassiker bekannt, bevor er sich zu einem führenden Verlag für anspruchsvolle Belletristik, Lyrik und Sachbücher entwickelte. Heute genießt der Hanser Verlag weltweites Ansehen und gilt als zentrale Plattform für Autoren, die literarische Innovation mit internationaler Relevanz verbinden.
Die Literaturzeitschrift „Akzente“, die seit 1954 im Hanser Verlag erschien, war über Jahrzehnte ein prägendes Medium für zeitgenössische Literatur. Sie bot Autoren wie Ingeborg Bachmann, Günter Grass oder Paul Celan eine Plattform und setzte Maßstäbe im literarischen Diskurs. Jo Lendle unterstrich die Bedeutung des Archivs, das „die Geschichte des Verlags und die Entstehung zentraler Werke zugänglich“ mache – eine Entscheidung, die passenderweise im Vorfeld des 100-jährigen Jubiläums des Verlags fiel.
Ein Kulturschatz für die Zukunft
Die Übergabe des Hanser-Archivs an das Deutsche Literaturarchiv Marbach markiert nicht nur einen Höhepunkt in der Geschichte der Institution, sondern setzt auch ein Signal für die Bedeutung der Bewahrung literarischer Schätze. Isabel Pfeiffer-Poensgen von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung betonte: „Dieser Ankauf sichert einen einzigartigen Kulturschatz und eröffnet zugleich mit der vielschichtigen Quellensammlung zahlreiche neue Forschungsansätze.“
Die Akquisition des Archivs ermöglicht es, Literaturgeschichte neu zu entdecken, die internationalen Verflechtungen des Hanser Verlags zu analysieren und die literarische Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen. Sandra Richter, Direktorin des DLA, fasst die Bedeutung des Archivs treffend zusammen: „Endlich schließt sich eine große Lücke in unserer Sammlung der Verlagsarchive.“ Dieses Archiv ermögliche einen umfassenden Einblick in die Literatur der letzten Jahrzehnte und deren Bedeutung für die Gegenwart.