Muttersein ist immer anders zu lieben von Ulrike Draesner

Vorlesen

Im September 2024 erschien Ulrike Draesners Buch zu lieben im Penguin Verlag. Es basiert auf der persönlichen Erfahrung der Autorin, die ihre Tochter Mary aus einem Waisenhaus in Sri Lanka adoptiert hat. Gleichzeitig greift es gesellschaftliche Themen wie Familie, Mutterschaft und kulturelle Unterschiede auf. In einem Interview auf ihrer Webseite spricht Draesner offen über die Entstehung des Buches und die Gedanken, die sie dazu bewogen haben, ihre Geschichte in dieser Form zu erzählen. Sie bezeichnet das Buch als „so wahr, wie es sein kann“, wobei literarische Freiheiten genutzt wurden, um die Erfahrungen auf eine tiefere Ebene zu bringen.

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Inhalt und Hintergründe

Das Buch erzählt die Geschichte der dreijährigen Mary, die von Draesner und ihrem damaligen Mann adoptiert wurde. Es beschreibt die ersten Begegnungen, die Fremdheit zwischen Eltern und Kind sowie die Herausforderungen, die kulturelle und sprachliche Unterschiede mit sich bringen. Dabei geht es nicht nur um die persönliche Erfahrung der Autorin, sondern auch um die Frage, was Familie bedeutet, wenn biologische Bande fehlen.

Im Interview hebt Draesner hervor, dass sie das Buch nicht nur als eine Geschichte über Adoption versteht, sondern auch als eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie Liebe entsteht und wächst – besonders unter ungewöhnlichen Umständen. Der Titel zu lieben steht für die Bereitschaft, sich auf eine Beziehung einzulassen, auch wenn diese Zeit und Geduld erfordert. (Leseprobe)

Mutterschaft und Beziehung

Das Buch zeigt, wie sich die Beziehung zwischen Mutter und Tochter entwickelt. Draesner schildert die Unsicherheiten und Herausforderungen, die diese Bindung mit sich brachte, aber auch die besonderen Momente, in denen eine Nähe entstand. Dabei wird deutlich, dass Elternschaft nicht nur mit Freude, sondern auch mit Zweifeln und Ängsten verbunden ist.

Im Interview erzählt Draesner, dass sie durch die Adoption auch viel über sich selbst gelernt habe. Sie beschreibt, wie sie sich in ihrer neuen Rolle als Mutter veränderte und welche Geduld notwendig war, um Vertrauen aufzubauen: „Teile von mir waren heimlich Kind geblieben. Doch nun stand ich in der Mitte, die Arme fühlbar zu beiden Seiten ausgestreckt.“

Familie und Gesellschaft

Draesner beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie Familie heute verstanden wird. Sie betont, dass Familien nicht perfekt sein müssen, sondern sich immer wieder neu erfinden können. „Familien sind unabgeschlossene Geschichten“, sagt sie im Interview. Mit dieser Aussage ermutigt sie dazu, Familie als etwas Dynamisches zu betrachten, das sich den individuellen Umständen anpasst.

Das Buch thematisiert auch gesellschaftliche Vorurteile gegenüber nicht-traditionellen Familienmodellen und zeigt auf, wie wichtig Akzeptanz und Offenheit in einer pluralen Gesellschaft sind.

Kulturelle Unterschiede und Adoption

Die Adoption von Mary brachte zahlreiche Herausforderungen mit sich, sowohl emotional als auch bürokratisch. Draesner schildert eindrücklich, wie sie mit der Sprachbarriere umging und wie schwierig es war, eine Verbindung zu einem Kind aufzubauen, das zu Beginn kaum Deutsch sprach. Diese Erfahrungen werden im Buch ebenso thematisiert wie die Unsicherheiten, die mit einer internationalen Adoption verbunden sind.

Im Interview beschreibt Draesner die Adoption als eine „transformative Erfahrung“, die sie Demut lehrte. Sie betont, wie wichtig es war, sich auf Marys Perspektive einzulassen und gleichzeitig ihre eigene Rolle als Mutter zu finden.

Humor in schwierigen Momenten

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Humor, der sowohl im Buch als auch im Interview immer wieder zur Sprache kommt. Draesner beschreibt, wie sie und Mary gemeinsam über Missverständnisse und alltägliche Pannen lachen konnten, und wie dieser Humor dazu beitrug, schwierige Situationen zu bewältigen. Diese Leichtigkeit zieht sich durch das Buch und macht es trotz der ernsten Themen zugänglich.

Sprache und Stil

Draesners Sprache ist klar und präzise, bleibt dabei aber nah an den Gefühlen der Figuren. Das Buch experimentiert mit Form und Gestaltung: durchgestrichene Sätze und visuelle Elemente im Text zeigen, wie schwierig es manchmal ist, die richtigen Worte für komplexe Erfahrungen zu finden. Diese Gestaltung spiegelt die Unsicherheiten und die Prozesshaftigkeit wider, die Adoption und Elternschaft mit sich bringen.

Im Interview erklärt Draesner, dass sie diese Stilmittel bewusst eingesetzt hat, um die Vielschichtigkeit der Themen zu verdeutlichen. „Es gab Momente, in denen Worte nicht ausreichten, um das Chaos in meinem Kopf zu beschreiben“, sagt sie.

Einschätzung

zu lieben ist ein intensives und ehrliches Buch, das persönliche Erfahrungen und gesellschaftliche Fragen miteinander verbindet. Besonders eindrücklich ist die Offenheit, mit der Draesner über die Herausforderungen und Freuden von Adoption und Mutterschaft schreibt. Sie vermeidet Übertreibungen und bleibt bei der Darstellung nah an der Realität.

Die experimentelle Gestaltung des Textes könnte für manche Leser ungewohnt sein, doch gerade diese Elemente machen das Buch zu einem besonderen Erlebnis. Sie unterstreichen, wie schwer es manchmal ist, Ordnung in komplexe Gefühle und Situationen zu bringen. Wer bereit ist, sich auf diesen Stil einzulassen, wird mit einem tief bewegenden und nachdenklich stimmenden Buch belohnt.

Die Autorin

Ulrike Draesner, geboren 1962 in München, zählt zu den vielseitigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Sie schreibt Romane, Lyrik und Essays, übersetzt aus dem Englischen und Französischen und arbeitet intermedial. Nach ihrem Studium in München und Oxford promovierte sie 1992. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin und Leipzig.

Ihr Debüt gedächtnisschleifen erschien 1995. Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche Gedichtbände, Romane und Erzählungen, darunter Sieben Sprünge vom Rand der Welt (2014), Schwitters (2020) und zuletzt Die Verwandelten (2023). Ihre Arbeiten kreisen um Themen wie Exil, Migration, Erinnerung und Gewalt, wobei sie oft neue sprachliche und erzählerische Wege beschreitet. Ihre Lyrik, zuletzt hell & hörig (2023), verbindet präzise Beobachtungen mit poetischer Experimentierfreude.

Draesner lehrte an renommierten Universitäten in Deutschland, England, der Schweiz und den USA, darunter von 2015 bis 2017 an der Universität Oxford. Seit 2018 ist sie Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und der Akademien der Künste in Berlin sowie für Sprache und Dichtung.

Für ihr Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Preis für Nature Writing (2020), dem Bayerischen Buchpreis für Schwitters (2020) und dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds (2021). 2023 erhielt sie den Spycher Literaturpreis Leuk.


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