Das neue Gesprächsbuch von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre erschien 2023 und setzt die Reihe der Zusammenarbeit der beiden Autoren fort, die 2020 mit „Alle sind so ernst geworden“ begann. Erschienen im Diogenes Verlag, vereint das Buch humorvolle Alltagsbeobachtungen mit persönlichen Einblicken und philosophischen Reflexionen.
Kein Grund, gleich so rumzuschreien – Ein Gesprächsbuch von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre
Aufgebaut in 19 thematische Kapitel, behandelt das Buch scheinbar banale Begriffe wie „Blumen“, „Uhrzeiten“ oder „Rasenmähroboter“, hinter denen sich jedoch immer wieder tiefgründige Fragen über das Leben, den Verlust und den Umgang mit Veränderungen verbergen.
Themenvielfalt im Alltag
Das Buch ist in 19 Kapitel unterteilt, die alle von einem Begriff oder einer Situation ausgehen – „Blumen“, „Rasenmähroboter“, „Camping“ oder „Harmoniesucht“ – und sich dann in lebhaften Gesprächen entfalten. Dabei bleiben die Themen niemals nur oberflächlich. Die Gespräche springen von alltäglichen Beobachtungen zu philosophischen Reflexionen, von persönlichen Geschichten zu universellen Fragen.
Suter und Stuckrad-Barre zeigen, dass selbst ein Gespräch über Sisyphos nicht trocken sein muss. Der Stein, den der Held der griechischen Mythologie den Berg hinaufrollt, wird hier zum Sinnbild für unsere endlosen Anstrengungen im Alltag – mit einem Augenzwinkern, versteht sich. Im Kapitel „Blumen“ reflektiert Suter über die Eigenheit von Tulpen, die auch abgeschnitten noch weiterwachsen, und zieht Parallelen zur Unvorhersehbarkeit des Lebens.
Persönlichkeiten im Dialog
Das Buch lebt vor allem von der Dynamik zwischen den beiden Autoren, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Martin Suter, bekannt für seinen präzisen, lakonischen Stil, bringt eine Ruhe und Bodenständigkeit in die Gespräche ein. Er spricht offen über den Verlust seiner Frau Margrith, die 2023 nach über 45 Jahren Ehe starb, und über die Trauer um seine Mutter. Dabei gelingt es ihm, auch in schwierigen Momenten einen humorvollen Ton zu bewahren, ohne die Tiefe der Themen zu verlieren.
Benjamin von Stuckrad-Barre, hingegen, ist der rastlose Gegenpol. Mit seinem impulsiven, manchmal überbordenden Redestil bringt er eine gewisse Unruhe in die Gespräche, die er jedoch durch seine Selbstironie ausbalanciert. Im Kapitel „Eitelkeit“ spricht er über seine Unsicherheiten, sein verzerrtes Selbstbild und die Abneigung gegen Rosen. Seine offenen Schilderungen über Sucht und Unsicherheit verleihen dem Buch eine unerwartete Verletzlichkeit.
Humor als Überlebensstrategie
Was das Buch besonders macht, ist die Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit. Die Autoren jonglieren gekonnt mit Humor und Tiefgang. So wird ein Gespräch über Rasenmähroboter plötzlich zu einer Betrachtung über die menschliche Beziehung zu Ordnung und Chaos. Oder ein Plausch über Uhrzeiten führt zu Gedanken über den Einfluss der Zeit auf unser Leben.
Trotz der schweren Themen – Verlust, Trauer, Sucht – bleibt das Buch bemerkenswert leicht zugänglich. Suters trockener Humor und Stuckrad-Barres Selbstironie machen selbst die schwierigsten Themen greifbar. Es ist diese Balance, die das Buch so lesenswert macht.
Eine Einladung zum Zuhören
Das Buch wirkt, als säße man selbst mit den beiden Autoren an einem Tisch, lausche ihren Gesprächen und würde dabei nicht nur unterhalten, sondern auch inspiriert. Die Gespräche sind nicht streng strukturiert, sondern assoziativ und lebendig. Manche Leser könnten diese lose Form als zu sprunghaft empfinden, doch genau hierin liegt der Charme des Buches.
Die persönliche Offenheit der Autoren verleiht dem Buch eine Tiefe, die hinter der lockeren Plauderei oft unerwartet auftaucht. Suters Erzählungen über den Verlust seiner Frau und seine Beobachtungen zu Trauer und Erinnerung sind ebenso bewegend wie Stuckrad-Barres Einblicke in seine Unsicherheiten und seinen Umgang mit der Vergangenheit.
Humor trifft Nachdenklichkeit
„Kein Grund, gleich so rumzuschreien“ ist ein Buch, das die Chemie zwischen seinen Autoren in den Mittelpunkt stellt. Es lädt dazu ein, über den Alltag zu lachen, über das Leben nachzudenken und sich selbst in den Gesprächen wiederzufinden. Die Mischung aus Humor, Nachdenklichkeit und sprachlichem Witz macht es zu einem Erlebnis, das sowohl unterhält als auch berührt.
Für Fans von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre ist dieses Buch ein Muss. Aber auch Leserinnen und Leser, die Freude an sprachlich feinfühligen Dialogen und klugen Beobachtungen haben, werden hier auf ihre Kosten kommen.
Über die Autoren
Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, ist einer der bekanntesten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Der letzte Weynfeldt“, „Small World“ und „Melody“. Seine Romane verbinden präzise Beobachtungen mit einer lakonischen, humorvollen Erzählweise.
Benjamin von Stuckrad-Barre, geboren 1975, wurde mit seinem Debütroman „Soloalbum“ bekannt und hat sich seitdem als einer der einflussreichsten Chronisten seiner Generation etabliert. Zuletzt sorgte er mit „Noch wach?“ für Aufsehen, einem autobiografischen Werk, das seine Suchtgeschichte thematisiert.