März – ein Monat des Wandels, des Übergangs, in dem die Natur zögernd aus dem Winter tritt. Ein passender Zeitpunkt, um an eine Frau zu erinnern, deren Leben und Werk von Umbrüchen geprägt war. Christa Wolf, geboren 1929 in Landsberg an der Warthe (heute Gorzów Wielkopolski, Polen), durchlebte Krieg, Ideologien und gesellschaftliche Wandlungen mit einem wachen Geist und einer kompromisslosen Stimme. Ihr literarisches Schaffen ist nicht nur Dokument, sondern Auseinandersetzung – mit ihrer Zeit, ihrer Gesellschaft und den Möglichkeiten, die sich einer schreibenden Frau boten.
Zwischen Anpassung und Widerstand – Die Frau, Mutter und Sozialistin Christa Wolf
Die Nachkriegsjahre brachten den Umbruch, doch für Frauen blieb die alte Ordnung vielfach erhalten. Während die DDR offiziell Gleichberechtigung propagierte, war es Wolf, die in ihren Romanen aufzeigte, dass die Realität anders aussah. In „Der geteilte Himmel“ (1963) erzählt Christa Wolf die Geschichte einer jungen Frau, die an einer entscheidenden Weggabelung steht. Rita Seidel und Manfred, zwei Liebende in der DDR der frühen 1960er Jahre, müssen eine Wahl treffen, die ihr Leben unwiderruflich verändert. Manfred verlässt das Land, während Rita bleibt – nicht aus Unentschlossenheit, sondern aus der Überzeugung heraus, dass ihr Platz dort ist, wo sie Veränderungen bewirken kann. Der Roman ist weit mehr als eine Liebesgeschichte, denn Wolf beschreibt eindringlich das Ringen der Protagonistin mit gesellschaftlichen Erwartungen, persönlichen Sehnsüchten und politischer Realität. Der geteilte Himmel zeigt, wie tief das Politische in das Private eindringt und dass persönliche Entscheidungen oft nicht nur das eigene Leben betreffen, sondern auch ein Abbild der Zeitgeschichte sind.
Wolf blieb lange Teil der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), nicht aus Opportunismus, sondern aus Überzeugung, dass Reformen möglich seien. Doch mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 sah sie sich gezwungen, ihre Position zu überdenken. Ihr späterer Austritt 1989 war konsequent, doch er kam nicht mit Leichtigkeit. Sie war nie eine einfache Parteigängerin, aber auch keine Gegnerin des Sozialismus – vielmehr eine Zweiflerin, die den Widersprüchen ihrer Zeit nicht auswich, sondern sie durchdachte, hinterfragte und oft im Ungefähren beließ. Ihre Haltung war nicht die der schnellen Antworten, sondern die der tastenden Annäherung – manchmal unbequem, manchmal zögerlich, aber stets auf der Suche nach einer Hoffnung, die sie sich selbst und anderen nicht vorschnell versprechen wollte.
Auch in ihrer Rolle als Mutter bewegte sie sich in einem Spannungsfeld. Ihre Tagebücher und Briefe zeigen, wie sie um eine Balance zwischen gesellschaftlichem Engagement und privater Verantwortung rang – ein Konflikt, der vielen Frauen dieser Generation vertraut war.
Feminismus und gesellschaftliche Auseinandersetzung
Wolf erkannte früh, dass Frauen nicht nur als Figuren in Geschichten existieren, sondern als Akteurinnen der Geschichte. Sie machte sie sichtbar – nicht als Heldinnen oder Opfer, sondern als Menschen, deren Lebenswege von gesellschaftlichen Strukturen durchzogen sind.
Mit „Nachdenken über Christa T.“ (1968) bricht Wolf mit der Vorstellung, dass Anpassung der einzig mögliche Weg sei. Der Roman erzählt die Geschichte der empfindsamen und unangepassten Christa T., die sich in der sozialistischen Gesellschaft der DDR fremd fühlt. Ihre Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben kollidiert mit den Erwartungen des Staates, der ihre Individualität als Bedrohung empfindet. Christa T. bleibt eine Außenseiterin, deren Krankheit und früher Tod wie ein Sinnbild für das Ersticken individueller Träume erscheint. Das Werk ist keine offene politische Anklage, sondern eine subtile, poetische Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit, in einem dogmatischen System ein authentisches Leben zu führen.
In „Kassandra“ (1983) entwirft Wolf das Bild einer Seherin, die Wahrheit spricht, aber ungehört bleibt. Kassandra, Tochter des trojanischen Königs, ist mit der Gabe der Weissagung gesegnet, doch ihr Schicksal ist besiegelt: Niemand glaubt ihr. Vor den Toren Mykenes, als Gefangene, erinnert sie sich an ihr Leben – ihre Kindheit, die zunehmende Entfremdung vom Königshaus, die Flucht in den Wahnsinn, als ihre Wahrheit auf die Machtinteressen der Herrschenden traf. Sie erlebt den Krieg nicht als Heldensage, sondern als grausames Machtspiel, in dem auch sie nur eine Figur ist. Kassandra sucht Zuflucht bei Frauen, die sich dem Kreislauf aus Gewalt und Rache verweigern – ein Gegenentwurf zu den patriarchalen Strukturen, die über ihre Zukunft entscheiden.
In „Medea: Stimmen“ (1996) löst Wolf eine weitere mythische Frauenfigur aus ihrer überlieferten Rolle. Medea, die in der antiken Tradition als Kindsmörderin gilt, erscheint hier als eigenständige Frau, die sich den Mechanismen von Macht und Intrige widersetzt. In Korinth wird sie zur Außenseiterin, zur Bedrohung für eine Gesellschaft, die ihre Regeln erhalten will. Der Roman entfaltet sich in mehreren Stimmen – Medea selbst, Jason, ihre Gegner und Verbündeten – und zeigt, wie Narrative konstruiert werden, um Unbequeme zum Schweigen zu bringen. Medea wird zum Sündenbock für ein Verbrechen, das die Mächtigen selbst begangen haben.
Der Deutsche Literaturstreit – Kritik und Kontroverse
1990 löste Christa Wolf mit der Veröffentlichung von „Was bleibt“ eine der heftigsten literarischen Debatten der Nachwendezeit aus. Die Erzählung, bereits 1979 geschrieben, thematisiert die alltägliche Überwachung durch die Stasi aus der Sicht einer Schriftstellerin. Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki und Frank Schirrmacher warfen ihr vor, sich erst nach dem Fall der Mauer als Dissidentin zu präsentieren, während sie zuvor vom System profitiert habe. Unterstützer wie Günter Grass und Heiner Müller hielten dagegen, dass Wolf stets eine kritische Stimme war und sich nicht opportunistisch verhielt. Der Streit markierte eine tiefe Spaltung zwischen ost- und westdeutschen Intellektuellen über die Bewertung der DDR-Vergangenheit und die moralische Verantwortung von Schriftstellern.
Christa Wolfs Vermächtnis
Nach 1989 wurde Wolf zur Projektionsfläche. Ihre zeitweilige Zusammenarbeit mit der Stasi wurde ihr vorgehalten, während ihre literarischen Leistungen teils in den Hintergrund rückten. Doch sie war keine Autorin, die sich der Auseinandersetzung entzog. Ihre Bücher sind keine Selbstrechtfertigungen, sondern tiefgehende Erkundungen eines Jahrhunderts, das von Brüchen und Unsicherheiten geprägt war.
Bis zu ihrem Tod am 1. Dezember 2011 blieb sie eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Literatur. Sie wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter der Thomas-Mann-Preis (2010) und der Uwe-Johnson-Preis (2010). Ihr Werk bleibt eine Einladung zum Nachdenken – über Geschichte, Gesellschaft und die Möglichkeiten einer weiblichen Perspektive in einer oft männlich dominierten Welt.
Veranstaltungshinweise zu Christa Wolf
8. März 2025, Wurzen: Lesung aus "Sei gegrüßt und lebe" zum Internationalen Frauentag.
18. März 2025, Berlin: „Lesestunde Christa Wolf“ im Frauenzentrum Paula Panke – gemeinsames Vorlesen und Gespräch.
20. März 2025, Buchhandlung ANAKOLUTH: Lesekreis zu "Der geteilte Himmel" mit offenem Austausch.
21. März 2025, Berlin: Stadtspaziergang auf den Spuren von Christa Wolf.
27. März 2025, Kleinmachnow: Lesestunde in der Auferstehungskirche mit Bürgerbeteiligung.
Mehr Infos: https://christa-wolf-gesellschaft.de/aktuelles/#veranstaltungen
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