Thema der kommenden Ausgabe "ttt - titel, thesen, temperamente" (24. September) ist unter anderem das Buch "Das nomadische Jahrhundert" der britischen Wissenschaftsjournalistin Gaia Vince. Außerdem wird die Journalistin Evelyn Roll über ihr Buch "Pericallosa. Eine deutsche Erinnerung" sprechen.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Migration aus? Mit diesem Thema beschäftigt sich die britische Wirtschaftsjournalistin Gaia Vince seit vielen Jahren. Auf vielen Reisen hat sie gesehen, wie Umweltveränderungen und menschliche Wanderungsbewegungen zusammenhängen. Wenn die Folgen der Klimakrise, etwa Waldbrände, Wirbelstürme, Dürre oder Flutkatastrophen, ganze Regionen unbewohnbar machen, bleibt den Einheimischen nichts anderes übrig, als in andere Gebiete zu fliehen. Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen hat Vince in ihrem am 28. September erscheinenden Buch "Das nomadische Jahrhundert" zusammengefasst.
"Es ist total wichtig, zu sehen, dass wir vieles verlieren werden, dass manches nie wieder kommt", so die Autorin. "Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Es gibt so viel zu tun. Einige Dinge können wiederhergestellt werden und der Rest muss neu erdacht und erschaffen werden. Wir müssen nach Lösungen suchen."
Es muss nicht schlimmer werden
"Das nomadische Jahrhundert" konfrontiert uns mit den harten Fakten. In den letzten 30 Jahren hat sich die weltweite Migration fast verdoppelt. Schon heute sind Umweltkatastrophen der Hauptgrund von Fluchtbewegungen. In den kommenden Jahren werden buchstäblich Milliarden von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Vince: "Niemand redet über die Tatsache, dass sehr viele Menschen in großen Teilen des Planeten sich nicht ans Klima anpassen können. Sie werden dort einfach weggehen müssen."
Klar ist für die Autorin, dass jetzt gehandelt werden muss. Auch wenn der "Norden" so tut, als könne man die Flüchtenden auf- beziehungsweise abhalten. Die Krise, so Vince, ist längst da, müsse aber nicht schlimmer werden. "Wir können sie managen. Dafür müssen wir darüber reden, die Optionen abwägen und planen." Um katastrophale Umstände zu vermeiden, muss die Versorgung in Bereichen wie Stadtplanung, Mobilität, Infrastruktur, Wohnungsangebot und landwirtschaftliche Versorgung angepasst werden. Wichtig sei dabei, die Migration nicht als bedrohliche Ausnahmesituation zu begreifen. Migration sei im Gegensteil etwas völlig Natürliches, so Gaia Vince. Sie habe dazu geführt, dass der Mensch sich von seinen Ursprüngen in Afrika über den ganzen Globus verbreitet hat. "Menschen vernetzen sich weltweit, teilen Ressourcen und Gene. Wir tauschen Ideen aus. Alles, was wir aufgebaut haben, entstand durch das Netzwerken, durch Migration. Sie macht uns definitiv aus und sie wird uns retten. Wie schon so oft in der Vergangenheit."
Evelyn Roll - "Pericallosa. Eine deutsche Erinnerung"
Die Journalistin Evelyn Roll bekam vor zwölf Jahren ein zweites Leben geschenkt. Ein Aneurysma platze in ihrem Gehirn, sie musste notoperiert werden und überstand den schweren Eingriff am offenen Gehirn. Welche tiefgreifenden Veränderungen das in ihr ausgelöst hat, beschreibt sie in ihrem Buch "Pericallosa. Eine deutsche Erinnerung".
"Pericallosa" ist der Fachausdruck für eines der arteriellen Hauptgefäße im Gehirn. Eine Blutung ist lebensgefährlich. "Es war auf einmal in meinem Kopf so laut, als würde eine Kaugummiblase platzen, und es war ein furchtbarer Schmerz", beschreibt Roll, "ich habe nachher mit einiger Befriedigung festgestellt, dass die Ärzte das 'Vernichtungskopfschmerz' nennen. Das beschreibt es ganz gut."
Damals stand die Journalistin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, arbeite bei der Süddeutschen Zeitung, war bekannt für ihre Reportagen und schrieb die erste grundlegende Biuografie von Angela Merkel. Dann die vermeidliche Kehrtwende. Doch Roll hatte Glück. Von einem der besten Neurochirurgen der Berliner Charité behandelt, überlebte sie die Hirnblutung ohne wesentliche Beeinträchtigung.
Erkundung der eigenen Familiengeschichte
Ich Buch ist jedoch mehr als nur eine Bericht über den Verlauf ihrer Erkrankung und anschließenden Genesung. "Es ging im Grunde genommen ein Jahr lang danach nur darum: Alles soll wieder so werden, wie es war. Und dann ist eine Reihe von Dingen passiert, die mir klargemacht haben: Nee, nichts soll wieder so werden, wie es war." Sie schreibt über die Gedanken, die sie im Krankenhaus umtrieben. ""Pericallosa"Da sind mir einige Rätsel und Fragen und blinde Flecken und Lügen durch den Kopf gegangen. Und dann habe ich mich auch erinnert, dass ich mir eigentlich geschworen hatte auf dieser Intensivstation: Wenn du hier rauskommst, wirst du das alles herausfinden."
In "Pericallosa" belichtet die Autorin ihre eigene Familiengeschichte, von der sie, wie sie feststellt, erstaunlich wenig weiß. Es geht um die Verstrickungen des Großvaters in den Nationalsozialismus. Um die Rolle, die ihr Vater als Wehrmachtssoldat im Krieg gespielt hat. Um schreckliche Geschichten, die sie als Kind gehört und jahrzehntelang verdrängt hat? Roll sagt: "Man ist im Grunde genommen immer auf der Suche nach Entlastung. Aber das darf einen nicht davon abhalten, zur Kenntnis zu nehmen, wo es keine Entlastung gibt."
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