Die Autorin und Bachmannpreisträgerin Tanja Maljartschuk eröffnet in diesem Jahr das Wettlesen in Klagenfurt. Ihre Rede trägt den programmatischen Titel "Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf". In einem Gespräch mit dem SWR2 erklärte Maljartschuk nun, warum sie lange überlegt hat, ob sie die Rede überhaupt halten soll.
2018 gewann Tanja Maljartschuk den Ingeborg-Bachmannpreis für ihren Text "Frösche im Meer"; in diesem Jahr leitet sie die Veranstaltung mit einer Rede ein. Dem SWR2 erzählte sie, dass die Entscheidung dazu alles andere als leicht war. Lange habe sie darüber nachgedacht, ob sie überhaupt eine Rede halten solle, so Maljartschuk. Letztlich hat sie sich - als "Autorin einer angegriffenen Gemeinschaft" - doch dafür entschieden. Unter dem Titel "Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf" wird sie die gegenwärtigen Gräuel auf die Klagenfurter Bühne bringen und fragen, was Literatur gegen diese unternehmen, wie sie sich der realen Gewalt entgegenstellen kann.
Maljartschuks persönlich schreibt dem geschriebenen Wort hier wenig Einflussnahme zu. "Die Literatur kann nichts machen, wenn die Raketen schießen, wenn Menschen getötet werden in der brutalsten Art und Weise. Die Literatur ist vollkommen hilflos“, erklärt die Schriftstellerin. Gerade daher sei das vergangenen Jahr für sie als Autorin ein extrem schweres gewesen, da sie noch die Illusion gehabt hätte, etwas bewirken zu können. Dieser Hilflosigkeit habe sie sich ausliefern müssen.
Die Aufgabe der Intellektuellen
Demnach kann man wohl von einem desillusionierenden Auftakt zum diesjährigen Bachmannpreis-Wettbewerb ausgehen. Ein Auftakt, der die Grenzen der Literatur deutlich macht und zugleich aufzeigt, was das geschriebene Wort zu leisten im Stande ist. Denn auch wenn sich die Literatur schlecht gegen bereits abgefeuerte Kugeln und Raketen einsetzen lässt, so kann sie doch versuchen, jene Gefälle abzutragen, die am Grunde der Konflikte liegen. Dabei geht es auch um einen differenzierten und reflektieren Blick auf die Opfer-Täter-Dynamik.
Hinsichtlich der deutschen Haltung im Russland-Ukraine-Krieg habe Maljartschuk lange gedacht, dass "es in der deutschen Gesellschaft vor allem um die Angst geht, dass der Krieg nicht nach Europa kommt". Deutschland spreche aus einer privilegierten Perspektive über den Krieg, denn das Land habe sich nie in einer Opferrolle befunden. Es lägen Welten zwischen denen, die unterdrückt waren und immer wieder um ihre Freiheit kämpfen mussten, und denen, die innerhalb ihrer Geschichte als Unterdrücken auftraten. Diese Distanz zu verkleinern sei vielleicht auch die Aufgabe der Intellektuellen auf beiden Seiten, meint Maljartschuk.
Tanja Maljartschuk
Tanja Maljartschuk wurde 1983 in Iwano-Frankiwsk geboren. Nach einem Studium der Philologie arbeitete sie einige Jahre als Kultur- und investigative Journalistin in Kiew. 2011 emigrierte sie nach Wien. Ihr erster Buch "Endspiel Adolfo oder eine Rose für Lisa" erschien 2004 beim Verlag Lileja-NW in Iwano-Frankiwsk. Ihr erstes Buch in deutscher Sprache - "Neunprozentiger Haushaltsessig" - erschien 2009 im Residenz Verlag. 2013 folgte der Roman "Biografie eines zufälligen Wunders". Ihr letzter Roman "Blauwahl der Erinnerung" erschien 2019 bei Kiepenheuer & Witsch. In ihrem 2022 erschienen Essayband "Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus", befasste sich Maljartschuk mit dem Krieg in ihrem Heimatland und damit, "was die kriegerische Expansionspolitik Russlands mit einem Land und seinen Menschen anrichtet."
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