Kürzlich erst ist der Schlüsselroman "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre erschienen, der darin - mutmaßlich - die Schattenseiten des Springer-Konzerns und der "Bild"-Zeitung sichtbar macht. Nun erscheint ein weiteres Buch, welches sich ganz direkt mit dem Betrieb beim Boulevardblatt beschäftigt. Es trägt den Titel "Ich war Bild" und stammt von dem ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann.
In "Ich war Bild" schreibt der langjährige "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann über seine Zeit bei Deutschlands größtem Boulevardblatt. Diekmann besetzte von 2001 bis 2017 die Position des Chefredakteurs bei der "Bild" und wurde dann von Julian Reichelt abgelöst, dessen Machtmissbrauch in den letzten Monaten in unterschiedlichsten Formaten thematisiert wurde. Die brisanten Themen allerdings lässt Diekmann in seinem Buch aus. Kein Wort über die Vorwürfe gegenüber Reichelt, nichts zu den geleakten Chat-Nachrichten des Vorstandschefs Mathias Döpfner, auch keine Stellungnahme zu den ständigen Wechsel an der "Bild"-Spitze.
Natürlich habe er zu all dem eine Meinung, sagte Diekmann im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur. "Ich bin schon seit über sechs Jahren nicht mehr bei "Bild" und daher Gott sei Dank nicht Teil dieses Dramas. Deswegen erlaube ich mir den Luxus, meine Meinung für mich zu behalten." Stattdessen bietet "Ich war Bild" ein Stück Zeitgeschichte, betrachtet durch die Brille eines Politikjournalisten, der Donald Trump und Wladimir Putin interviewte und häufig dabei war, wenn Geschichte geschrieben wurde.
All das rekonstruiert Diekmann mit Hilfe von gesammelten Fotos, Dokumenten, Briefen und E-Mails, die seine langjährige Arbeit dokumentierten. Auch in dem Buch selbst sind viele Fotos und Dokumente zu finden. Interessant sind vor allem Passagen, in denen Diekmann seinen Leserinnen und Lesern vertrauliche Vier-Augen-Gespräche offeriert. Auch kleine Beobachtungen sind unterdessen nicht uninteressant. Beispielsweise erfährt man, dass der langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi während des Traueraktes für den gestorbenen Altkanzler Helmut Kohl (CDU) gelegentlich eingeschlafen sein soll.
Christian Wulff-Affäre
Wie viel Macht Diekmann selbst in seiner Position hatte, repräsentiert wohl am ehesten die Christian Wulff-Affäre. Der Ex-Bundespräsidenten hinterließ Diekmann eine denkwürdige Sprachnachricht auf der Mailbox, um damit die Berichterstattung zu beeinflussen. Es kam zum Skandal und Wulff (CDU) trat bald darauf zurück.
Im Buch wird die Wulff-Affäre gleich im ersten Kapitel verhandelt. Im Interview mit der dpa gefragt, ob er noch eine Rechnung mit Wulff offen hätte, antwortet Diekmann: "Nun, Christian Wulff hat seine Sicht auf die Dinge in seinem Buch "Ganz oben, ganz unten" ausführlich geschildert. Das habe ich damals etwas irritiert gelesen, denn meine Erinnerungen waren so ganz andere." Diekmann ergänzte: "Und tatsächlich haben sich die Dinge vollkommen anders abgespielt. Ich fand es an der Zeit, den Fall Wulff aus meiner Sicht zu schildern - und mit Dokumenten und Fakten zu belegen, die bislang unveröffentlicht sind."
Im Zuge der Wulff-Affäre hatte Diekmann auch Nachrichten von Springer-Chef Mathias Döpfner erhalten, die im Buch ebenfalls veröffentlicht werden. Diekmann dazu im Interview: "Mathias Döpfner und ich waren in vielen Fragen diametral unterschiedlicher Meinung, wie Sie an jeder Menge SMS festmachen können, die im Buch nachzulesen sind. Ich hatte nie das Gefühl, Anweisungen von ihm zu bekommen. Die hätte er mir schon deshalb nicht geschickt, weil er wusste, dass sie nicht auf fruchtbaren Boden fallen würden."
In Zwölf Kapitel gegliedert
insgesamt bringt Diekmann zwölf Kapitel, in denen es unter anderem um die Hassliebe zwischen den für ihre Schlagzeilen bekannten Zeitungen "Bild" und "taz", um den Brandanschlag auf sein Familienauto, um die Flüchtlingskrise und die Politik von Angela Merkel sowie die Agenda-Politik von Gerhard Schröder geht. Auch Helmut Kohl kommt - als "väterlichen Freund" - im Buch vor.
Hier bestellen
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Aktuelles
„Das Band, das uns hält“ – Kent Harufs stilles Meisterwerk über Pflicht, Verzicht und stille Größe
Magie für junge Leser– Die 27. Erfurter Kinderbuchtage stehen vor der Tür
„Die Möglichkeit von Glück“ – Anne Rabes kraftvolles Debüt über Schweigen, Schuld und Aufbruch
Für Polina – Takis Würgers melancholische Rückkehr zu den Ursprüngen
„Nightfall“ von Penelope Douglas – Wenn Dunkelheit Verlangen weckt
„Bound by Flames“ von Liane Mars – Wenn Magie auf Leidenschaft trifft
„Letztes Kapitel: Mord“ von Maxime Girardeau – Ein raffinierter Thriller mit literarischer Note
Drachen, Drama, Desaster: Denis Scheck rechnet mit den Bestsellern ab
UNESCO und IBBY sammeln Werke in indigenen Sprachen
Mario Vargas Llosa ist tot –Ein Abschied aus Lima
Denis Scheck ist am 13. April zurück mit „Druckfrisch“
Zwei Fluchten, zwei Stimmen – und dazwischen das Schweigen der Welt
Good Girl von Aria Aber – eine Geschichte aus dem Off der Gesellschaft
Guadalupe Nettel: Die Tochter
"ttt – titel thesen temperamente" am Sonntag: Zwischen Wehrpflicht und Widerstand – Ole Nymoen im Gespräch
Rezensionen
„Größtenteils heldenhaft“ von Anna Burns – Wenn Geschichte leise Helden findet
Ein grünes Licht im Rückspiegel – „Der große Gatsby“ 100 Jahre später
"Neanderthal" von Jens Lubbadeh – Zwischen Wissenschaft, Spannung und ethischen Abgründen
