Die amerikanische Autorin Joy Williams wird in ihrem Land bereits seit längerem als eine der größten - manche meinen gar die Größe - Schriftstellerinnen ihrer Generation gefeiert. Kürzlich ist nun bei dtv erstmals ein Kurzgeschichtenband in deutscher Übersetzung erschienen. Und was bis dato fern über den Atlantik hallte, bestätigt sich in "Storys" allemal. Mit eindringlicher Unheimlichkeit bearbeitet Williams die großen Topoi der Weltliteratur; schreibt über Tod, Liebe, Trauer und Vergänglichkeit auf eine Weise, die leicht und beklemmend zugleich ist.
"Storys" versammelt 13 Kurzgeschichten, die allesamt von skurrilen Protagonisten bevölkert sind, deren Perspektiven eine abgründige, aus der Bahn geratene Welt zeigen. So bekommen wir es beispielsweise mit Müttern zu tun, die darüber nachdenken, die Basteleien ihrer zu Mörder gewordenen Kinder auf Ebay zu verschachern. Mädchen entdecken eine Zauberbühne in einem Personenzug, auf der sie ihr zukünftiges Leben kennenlernen. In einer mit "Rost" überschriebenen Geschichte parken die Protagonisten Dwight und Lucy einen leichenwagenschwarzen Ford Thunderbird mitten in ihrem Wohnzimmer. Da ist kaum mehr Platz für eine verheißungsvolle Zukunft, da scheinen keine aufregenden Abenteuer hinter den Zimmerwänden zu warten. Da will nichts mehr erobert, aber umso mehr verarbeitet werden.
Das "Groteske und Grausame"
Genau in dieser Umkehrung steckt bereits, was Williams von Literatur - in erster Linie ihrer eigenen - erwartet. "Wir sind amerikanische Schriftsteller, die die amerikanische Realität in sich aufnehmen. Wir müssen restlos in uns aufnehmen die Hitze, die Rücksichtslosigkeit und Ruchlosigkeit, das Groteske und Grausame", sagt die Autorin. Ein Wagen, in einer Wohnstube geparkt: das ist ein Splitter im Fleische des amerikanischen Traums und zugleich ein ausgezeichnetes Beispiel für die politische Kraft einer Poesie, die niemals direkt anspricht, die nur das Dröhnen des Alltags unaufdringlich wiedergibt.
Williams Helden sind jene zum Tode Verurteilten, die, um ihre Verurteilung wissend, einen anderen Begriff "Hoffnung" bilden. Die alberne Hoffnung einer Sterbenskranken. Ein verängstigtes Mädchen, welches sich, von innerer Leere getrieben, einem verheirateten Mann vor die Füße wirft. Miriam, die den Menschen und der Liebe abschwört und ihr Heil in einer Lampe sucht, die aus den Läufen eines Rehs geschaffen wurde. Als sie den Präparator im Naturkundemuseum fragt, wann ihre letzte Stunde schlage, antwortet dieser: "Sie war da, als Sie schliefen".
Erkundung menschlicher Abgründe
Grotesk, grausam und phantastisch klingen diese Geschichten an, die ohne weite Anläufe auskommen. In wenigen Strichen erschafft Williams eine absurde, immer unbehagliche Welt, deren Narrative abgegriffen und heruntergewirtschaftet zu sein scheinen. Übrig bleibt letztlich der Matsch ehemals glorreicher Zukunftsideen, aus dem sich Gestalten erheben, die entweder nichts mehr wollen, oder nichts mehr wollen können, und daher mit einer nahezu entrüstenden Indifferenz auftreten.
Was "Storys" zeigt, ist keineswegs gegenwärtige, gesellschaftskritische Spielerei - die Erzählungen erschienen zwischen 1972 und 2014 - sondern eine feinsinnige Erkundung menschlicher Abgründe. Da wundert es dann auch nicht, wenn es an einigen Stellen schreiend komisch wird.
Joy Williams - "Storys" / A. d. Engl. v. Brigitte Jakobeit und Melanie Walz / dtv Verlag / 304 Seiten / 25 Euro