"Wie viele Meinungen verträgt die Wirklichkeit" - Darüber diskutierten die Schriftsteller Lukas Rietzschel und Uwe Tellkamp am Donnerstag in der Dresdner Frauenkirche. Tellkamp, der die ersten Fragen des Gesprächs ausschließlich in Reimform beantwortete, beharrte auf seine Rolle als Dissident. Man sprach über Medien, Flüchtlinge, Corona und darüber, welch eine Position der Künstler in der Öffentlichkeit einnimmt.
Es war ein ungewöhnlicher Auftritt, den der Schriftsteller Uwe Tellkamp ("Der Turm") am vergangenen Donnerstag in der Dresdner Frauenkirche hingelegt hat. Auf der Bühne diskutierte der mit dem deutlich jüngeren Lukas Rietschel ("Mit der Faust in die Welt schlagen") darüber, wie viel Meinung die Wirklichkeit verträgt. Die Autoren sprachen unter anderem über gesellschaftlichen Ausschluss, mediale Eliten, Corona, Flüchtlinge und Bedenkenträger. Moderiert wurde das Gespräch von Alexandra Gerlach, die auf ihre an Tellkamp gerichtete Frage, was es mit ihm mache, wenn er für gewisse Aussagen geschnitten werde, folgende Antwort erhielt: "Der Künstler hier ist nur der Narr / von dem, was Meinungsfreiheit war, / meint er die echte, folgenlose, unberaten. / Wer Freiheit will, darf ungeraten braten."
Die sich ständig wiederholenden Diskurse
Was zunächst etwas befremdlich erschien, wirkte bald nach und man verstand, dass Tellkamps Reimantworten nicht etwa als Gebärden eines wankelmütigen Künstlers, sondern als fundamentale Kritik an einer Diskurs-Kultur zu verstehen sind, für die Diskurs oftmals nichts anderes bedeutet, als pausenlos die immergleichen Probleme und Phrasen zu wiederholen. Die gleichen Fragen, identische Antworten, die selbe Ratlosigkeit in den Gesichtern am Ende irgendeiner Talkshowrunde, die sich anschließend entladene Wut, in wenigen Zeichen niedergetippt: Natürlich kann man sich da hinsetzen und Verse schreiben, die ausgezeichnet als Antworten herhalten können.
Eine schöne Pointe also zu Beginn des Gesprächs, die darauf verwies, dass Wiederholung für Verhärtung sorgt und sich Aussagen, werden sie nur häufig genug wiederholt, zunehmend abnutzen und dadurch an Substanz verlieren. Die Lager ziehen ihre Grenzen hoch und höher, es wird ausgeschlossen, gecancelt und diffamiert. Wie aber damit umgehen? Wie die Lager aufweichen, das Aufeinander-Zu ermöglichen? Eine Antwort blieb uns Tellkamp schuldig. Der, der zu Beginn des Gesprächs in Gedichtform Kritik an einer hohl gewordenen Diskurs-Praxis übte, wiederholte nun - mit beinahe blinder Beharrlichkeit - seine seit Jahren bekannten Positionen, offenbar ohne die Bereitschaft, an gewissen Punkten einzulenken. Beide, sowohl Tellkamp als auch Rietzschel, waren um Höflichkeit bemüht, legten mit sachlicher Kühle ihre Ansichten dar, Rietzschel hier und da sogar mit der Absicht, auf die Position seines Gegenübers einzugehen. "Müssen wir Worte verwenden, hinter die wir nicht mehr zurückkommen?" fragte er, tatsächlich an einer Debatte interessiert, die ein Fundament aufweist.
Bequeme Verachtung
Wenn Tellkamp in Gedichtform antwortet (antworten kann), zeigt er damit, woran die öffentliche Debatte krankt. Wenn er im anschließenden Gespräch allerdings keinerlei Bereitschaft zeigt, sich auch nur ein winziges Stück vom besetzten Posten wegzubewegen, auf bereits gesetzte Punkte beharrt und diese wiederholt, dann hat man es hier vielleicht doch eher mit einer düsteren Predigt als mit einem Aufschrei der Sprach- und Meinungsfreiheit zu tun. Eine Predigt, an jene gerichtet, die es sich in ihrem Verachten allzu bequem gemacht haben.