Heute vor zehn Jahren, am 6. Februar 2013, gründete sich im hessischen Oberursel die "Alternative für Deutschland". Welche Entwicklungen der Parteigründung vorausgingen, welche Akteure welche Wege in den Sand zeichneten, und wie aus diesen Wegen Straßen geworden sind, untersucht der FAZ-Autor und Journalist Patrick Bahners in seinem Buch "Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus". Als wichtige Protagonisten und Wegbereiter treten hierbei neben Alexander Gauland auch Martin Walser und Uwe Tellkamp auf.
Wo sind die intellektuellen Wurzeln der "Alternative für Deutschland" auszumachen? Dieser Frage folgend, hat sich der F.A.Z-Feuilletonist Patrick Bahner auf die Suche nach den Anfängen jener Stränge gemacht, die mittlerweile weit in die Mitte der Gesellschaft hineinragen. Während er die vergangenen Jahrzehnte der deutschen Geschichte durchquert, stößt er auf einen intellektuellen Stichwortgeber, der zwischen einigen anderen deutlich heraussticht: Alexander Gauland, von 1973 bis 2013 CDU-Mitglied, unter anderem im Bundesumweltministerium tätig und - von 1987 bis 1991 - ehemaliger Leiter der hessischen Staatskanzlei.
Martin Walsers "Moralkeule"
Dieser Gauland, der in diversen Zeitschriften veröffentlichte und als intellektuelle Stimme nicht ungern gelesen wurde, tauchte, wie Bahners klar macht, in der breiten Öffentlichkeit tatsächlich erstmals als literarische Figur auf. Im Jahr 1996 erschien mit Martin Walsers Schlüsselroman "Finks Krieg" eine literarische Aufarbeitung der sogenannten "Affäre Gauland". Hier tritt der heutige AfD-Bundestagsabgeordnete als Staatskanzlei-Chef "Tronkenburg" auf. Dass Walser im Zuge seiner zwei Jahr später (1998) gehaltenen "Paulskirchenrede" den Begriff "Moralkeule" in Bezug auf den Holocaust benutzte, setzt Bahner als ein erstes Aufflackern der politischen Ausrichtung der AfD. Auf Walsers "Moralkeule" folgten Diskussionen und bislang unter Verschluss gehaltene Bekenntnisse, die nun das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Plötzlich war von einem Kampf die Rede, in dem eine verlogenen Elite gegen ein Volk antritt, welches wieder lerne müsse, stolz zu zeigen. Nur zwei Jahre nach Walsers Rede erschien dann mit Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" einer der wohl gewichtigsten Wegweiser der AfD.
Auch der Dresdner Autor Uwe Tellkamp soll der Partei mit seinen Positionierungen, Ansichten und öffentlichen Äußerungen ("Der Fall Tellkamp") im Laufe der Jahre Vorschub geleistet haben. Ebenso die Publizistin Cora Stephan, die 2018 eine der Erstunterzeichnerin der "Gemeinsamen Erklärung 2018" war, deren Autoren sich gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung richteten. Später ließ Stephan ihren Namen wieder von der Liste streichen.
Die Radikalisierung einer recht flexiblen Partei
Was Bahners in seinem Buch deutlich macht, ist, dass die AfD alles andere als eine verstaubte und behäbige Partei ist. Schließlich war sie in der Lage, sich für unterschiedlichste Akteure attraktiv zu machen, die Bürger der Mitte auf ihre Seite zu ziehen und - mittels der Proklamation eines Kampfes gegen die Eliten - der Linken die Zähne zu ziehen. Vor dem Hintergrund medialer Berichterstattung, schien sich diese fortan zunehmend auf vermeidlich elitäre Probleme zu konzentrieren. Das Narrativ der Eliten-Bekämpfung ist ein solch gewichtiges, dass es auch verbale Zuspitzung, Radikalisierung und Grenzüberschreitungen ermöglicht. Bahners schreibt:
"Die Radikalisierung der AfD kann man an provokativen Formulierungen und skandalösen Positionen zu allen möglichen Themen festmachen. Ihre Dynamik, der schier unaufhaltsame Drang zur Zuspitzung und Verschärfung, wird aber bestimmt durch die antagonistische Stellung, welche die Partei im politischen Prozess zu ebendiesem politischen Prozess einnimmt. Dem Personal der als Altparteien herabgesetzten Konkurrenz traut man nur das Schlimmste zu, und dieser Verdacht wird bei jeder Wiederholung schriller und schriller vorgetragen."
Unser Unvermögen. Das Wachsen der Neuen Rechten
Eine schnelle Bekämpfung der AfD - wie etwa die twitterseke Forderung nach einem Verbot - schließt Bahners nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema aus. Die einzige Möglichkeit, der neuen Rechten beizukommen und diese zu isolieren, sei an der Wahlurne zu finden. Die Taktik der CDU, den Rechten Stimmen abzunehmen, indem man ihre Positionen partiell übernimmt, sieht Bahnerd kritisch. Denn die Wähler, die anstatt AfD nun eine etwas konservativere CDU wählen würden, wären ja dieselben Personen. "In der Behauptung, dass mit der Partei nicht gesprochen werden darf, die sie wählen oder bei der letzten Wahl gewählt haben, liegt für sie etwas Irritierendes, ja, Kränkendes. Sie können vielleicht gewonnen werden, aber sie wollen sich nicht erpressen lassen."
Hier wird bereits ersichtlich, dass es Bahners um mehr als die Verhinderung einer politisch machtvollen AfD geht. Es geht auch um das Unvermögen, mit welchem wir den Aufstieg dieser Partei bisher begegneten. Dieses Unvermögen lässt sich nicht zuletzt dort finden, wo vorschnelle Vereinheitlichung und Kategorisierung zum vorschnellen Ausschluss führt, und gesellschaftliche Stigmatisierung auf anderer Ebene reproduziert wird. Solange wir von jenen vorschnellen Kategorisierungen nicht absehen können, solange wir weiterhin in bequemer Lage aburteilen, wird die Neue Rechte (und mit ihr die entsprechenden politischen Parteien) weiterhin wachsen. Bahners schreckt in seinem Buch auch vor diesem Blick ins Unvermögen nicht zurück. Er fragt, fordert und stößt schließlich eine bereits oft angestoßene Debatte nochmals an. Für das Feuilleton gilt es, über diese Debatte hinauszuschauen.
Patrick Bahners - "Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus" / Klett-Cotta / 2023 / 539 Seiten / 28, 00 €