Am 29. Dezember kommt der Film "Die-Super-8-Jahre" der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux in die Kinos. Er zeigt Zusammenschnitte von Filmaufnahmen, die Ernaux´ damaliger Mann Philippe zwischen den Jahren 1972 und 1981 aufgenommen hat. Die Collage sei nicht nur Familienarchiv, sondern auch ein "Zeugnis für die Zeit, den Lebensstil und die Bestrebungen einer Gesellschaftsschicht im Jahrzehnt nach 1968", so die Autorin.
Am 7. Dezember hat die Französische Autorin Annie Ernaux den Nobelpreis für Literatur in Stockholm entgegengenommen. In ihrer Rede verwies sie unter anderem darauf, dass ihr Schreiben immer auch ein wichtiges Instrumente im Kampf für die eigene Klasse war. Im Mittelpunkt ihrer Nobelpreis-"Lecture" stand ein Satz, den sie im Alter von 22 Jahren notierte "Ich werde schreiben, um mein Volk zu rächen". Am 29. Dezember erscheint nun mit "Die Super-8-Jahre" ein Film, der sehr persönliche Ausschnitte aus Ernaux´ Leben auf die Leinwand bringt. Wie auch in ihren Büchern, sieht die Autorin darin mehr als nur die Fragmente eines Familienarchives. Die Aufnahmen bilden auch die Lebensrealität einer französischen Mittelklassefamilie in den 1970er Jahren ab.
Kollektive Selbsterkundung
In ihren Büchern verarbeitet Annie Ernaux Erlebtes und Erfahrendes auf literarische Weise so, dass die Grenzen zwischen Biografie und Fiktion verschwimmen. Dies wäre weder neu noch erwähnenswert, würde die Autorin dabei nicht unmissverständlich von ihrem eigenen Leben erzählen. Es ist nicht die fiktionale Erzählung, die biografische Färbungen bekommt, sondern umgekehrt die Biografie, von der aus gesellschaftliche Schichten und Risse ausfindig gemacht werden. Wenn Ernaux sich als "Ethnologin ihrer selbst" bezeichnet, dann ist damit nicht etwa jene selbstbezügliche Suche gemeint, die sich immer tiefer in die eigene Person gräbt. Vielmehr meint dieser Ausdruck das Beschlagen und Behauen der groben Oberfläche einzelner Erinnerungen, das Abtasten von Eindrücken und das Prüfen, ob sich hinter dieser oder jener Erfahrung ein allgemeingültiger Charakter versteckt hält. In dieser Praxis ist Ernaux´ Absicht - Der Kampf für die Klasse - angesiedelt: Denn über das eigene Leben schreiben bedeutet unter diesem Gesichtspunkt, sich als schreibender und beschreibender Partikel einer Gesellschaft zu verstehen. Mal störend, mal stotternd, mal aufbrausend, mal ausgeliefert. Da der stetige Wechsel zwischen gesellschaftlichen Aggregatzuständen kein subjektiver, sondern ein kollektiv nachvollziehbarer Prozess ist, findet sich in Ernaux Erinnerungs-Berichten stets eine Gemeinschaft wieder.
Die Super-8-Jahre
Diese Form der kollektiven Selbsterkundung hat Ernaux nun in ein anderes Medium zu übertragen versucht. In ihrem Film "Die Super-8-Jahre" sind Videoaufnahmen zu sehen, die ihr damaliger Mann Philippe zwischen den Jahren 1972 und 1981 machte. Vor der Kamera: Annie und ihre beiden Söhne Eric und David. Letzterer half der Autorin nun beim montieren des Filmes, der am 29. Dezember in die Kinos kommt.
Als sie auf die über dreißig Jahre alten Aufnahmen stieß, entdeckte Ernaux auch in diesen mehr als nur persönliche Erinnerungsabbildungen. "Bei der erneuten Sichtung unserer Super-8-Filme, die zwischen 1972 und 1981 gedreht wurden, kam mir der Gedanke, dass sie nicht nur ein Familienarchiv, sondern auch ein Zeugnis für die Zeit, den Lebensstil und die Bestrebungen einer Gesellschaftsschicht im Jahrzehnt nach 1968 darstellen. Ich wollte diese stillen Bilder in eine Geschichte einbinden, die die Vertrautheit mit dem Sozialen und der Geschichte kombiniert, um den Geschmack und die Farben dieser Jahre zu vermitteln."
Zu sehen sind diverse Familienszenen. Davids erste Skifahrt, Erics vorsichtige Schwimmversuche, Weihnachtsfeiern und Spaziergänge am Seeufer, Reisen nach Chile, nach Albanien und in die Sowjetunion. Annie Ernaux kommentiert die Ausschnitte, erzählt, was sie sieht und woran sie sich erinnert. Aus dem Zusammenspiel von Bild und Kommentar entsteht so ein Film, der die Sehnsüchte und Träume der französischen Mittelklasse der 70er Jahre abbildet.