Belletristik und Sachbuch 2022 Unsere Leseempfehlungen zur Weihnachtszeit

Vorlesen

Zum Jahresende wollen wir unseren Leserinnen und Lesern Bücher an Herz legen, die uns in diesem Jahr besonders bewegt und umgetrieben haben. Zehn Leseempfehlungen zur Vorweihnachts- und Weihnachtszeit, die zum Denken anregen und mitfiebern lassen - von Martin Kordić bis Jürgen Habermas. Viel Spaß!

Buchempfehlungen zu Weihnachtszeit: Diese Neuerscheinungen haben uns besonders bewegt. Bild: Pixabay (Symbolbild)

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und es beginnt die Zeit der Rückbesinnung. Hinter uns liegt ein ereignisreiches, von Umstürzen, Grenzlinien und Zeitenwenden geprägtes Jahr 2022. Ein Jahr, das auch in literarischer Hinsicht ein äußerst bewegtes war, langerwartete Buchveröffentlichungen, aufblitzende Protestschreiben und orchestrale Romane mit sich brachte. Zur Vorweihnachtszeit wollen wir eine Auswahl persönlichen Highlights präsentieren und zeigen, welche Titel uns in diesem Jahr besonders umgetrieben haben.

1. Martin Kordić - "Jahre mit Martha"

Martin Kordić erzählt eine mitreißende Liebesgeschichte, in der sich nicht zuletzt die Ungerechtigkeiten des Einwanderungslandes Deutschland spiegeln. Zart und fragil, aber auch mit humoristischem Feinfühlig.

Verlagsankündigung (S. Fischer)

Željko, der von allen "Jimmy" genannt wird, ist fünfzehn, als er sich in Martha verliebt. Sie ist Professorin in Heidelberg, er lebt mit seinen Eltern und Geschwistern zu fünft in einer Zweizimmerwohnung in Ludwigshafen. Martha hat, was Željko sich sehnlichst wünscht: Bücher, Bildung und Souveränität. Mit Martha besucht er zum ersten Mal ein Theater, sie spricht mit ihm, wie sonst niemand mit ihm spricht. Mit Marthas Liebe wächst Željkos Welt. Doch welche Welt ist es, die er da betritt und wen lässt er dafür zurück? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Begehren und Ausbeutung?

2. Pater Prange - "Der Traumpalast."

In diesem Jahr erschien die Fortsetzung von Peter Prangers großem Zeitgeschichtenroman "Der Traumpalast". Der zweite Teil spielt im Jahr 1925. Das schrille "Aufwärts" der Weimarer Republik prustet durch die Berliner Straßen. Doch es droht bereits der Marschschritt der Nationalsozialisten. Vor diesem Umbruch zeigt Prange "Bilder von Liebe und Macht".

Verlagsankündigung (Fischer Scherz)

1925: Berlin ist die flirrende Metropole Europas. Nach dem Chaos von Straßenkämpfen und Inflation gibt es nur noch eine Richtung: aufwärts! Auch für Rahel und Tino brechen goldene Zeiten an. Während sie zum neuen Star der Ufa ausgerufen wird, treibt er den kometenhaften Aufstieg der Filmfabrik voran. Aber dunkle Wolken ziehen auf, Nazis marschieren durch die Straßen, und unversehens wird Rahels und Tinos Liebe auf eine Probe gestellt, die stärker zu sein droht als sie. Als die Ufa zum Spielball der politischen Mächte wird, muss Tino, um ihre Liebe zu retten, eine furchtbare Entscheidung treffen.

3. Dörte Hansen - "Zur See"

Der lang erwartete dritte Roman der Bestsellerautorin Dörte Hansen. Auch dieser Roman handelt vom Umbruch der Gezeiten. Wie überlebensnotwendig sind Konventionen, wo kann sie Wärme bedeuten, wo produziert sie Dreck und Verderben? Hansen arbeitet diese Fragen an dem Bild einer Familie ab.

Verlagsankündigung (Penguin)

Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

4. Carolin Amlinger & Oliver Nachtwey - "Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus"

Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey analysieren die Bewegungen, die uns in den vergangenen Jahren stark umgetrieben und an den Grundfesten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerüttelt haben. Corona-Kritiker, Wissenschaftsleugner, selbstinszeniertes Rebellentum. Sie zeigen, wie der Freiheitsbegriff in Sittenhaft genommen und im Sinne individuelle Vorzüge umgedichtet wird. Und welche Bedrohungen mit diesen Strömungen einhergehen.

Verlagsankündigung (Suhrkamp)

Der libertäre Autoritarismus, so Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, ist eine Folge der Freiheitsversprechen der Spätmoderne: Mündig soll er sein, der Einzelne, dazu noch authentisch und hochgradig eigenverantwortlich. Gleichzeitig erlebt er sich als zunehmend macht- und einflusslos gegenüber einer komplexer werdenden Welt. Das wird als Kränkung erfahren und äußert sich in Ressentiment und Demokratiefeindlichkeit.

Auf der Grundlage zahlreicher Fallstudien verleihen Amlinger und Nachtwey dieser Sozialfigur Kontur. Sie erläutern die sozialen Gründe, die zu einem Wandel des autoritären Charakters führten, wie ihn noch die Kritische Theorie sich dachte. Die Spätmoderne bringt einen Protesttypus hervor, dessen Ruf nach individueller Souveränität eine Bedrohung ist für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen: die Verleugnung einer geteilten Realität.

5. Esther Kinsky - "Rombo"

Noch bevor dieser Roman erschien, wurde er bereits ausgezeichnet. Esther Kinsky erzählt von den Spuren, die Naturkatastrophen in Menschen hinterlassen. Nur langsam und mit Mühe lässt sich eine Sprache finden, die die Ängste, Hoffnungen und Verluste jener Bergdorfbewohner zu umreißen im Stande ist. Und aus einem kollektiven Trauma werden individuelle Erinnerungen, die tief in die menschliche Existenz führen.

Verlagsankündigung (Suhrkamp)

Im Mai und im September 1976 erschüttern zwei schwere Erdbeben eine Landschaft und ihre Bevölkerung im nordöstlichen Italien. An die tausend Menschen sterben unter den Trümmern, Zehntausende sind ohne Obdach, viele werden ihre Heimat, das Friaul, für immer verlassen. Die Materialverschiebungen infolge der Beben sind gewaltig, sie bilden neues Gelände, an denen sich die Wucht des Eingriffs ablesen und in die Begriffe der Naturkunde fassen lässt. Doch für das menschliche Trauma, für die Erfahrung der plötzlich zersprengten Existenz, lässt sich die Sprache nicht so einfach finden.

6. Colleen Cambridge - "Die Dreitagemordgesellschaft. Agatha Christie Haushälterin ermittelt"

Colleen Cambridge - das Synonym einer New-York-Times-Bestsellerautorin - legt mit "Die Dreitagemordgesellschaft" den fesselnden Auftakt einer Kriminalromanserie vor, von der auch im kommenden Jahr noch zu Reden sein wird. Im Haus der "Queen of Crime", Agatha Christie, finden sich acht Festgäste ein. Es kommt zu einem Mord. Die Haushälterin Phyllida Bright macht das, was Christie-Haushälterin nun einmal machen: Sie verzichtet auf die Polizei, und macht sich selbst an die Arbeit.

Verlagsankündigung (Lübbe)

Eine Schar Festtagsgäste hat sich für drei Tage in Mallowan Hall eingefunden. Das versteckt in den Hügeln von Devonshire liegende Anwesen gehört der berühmten Schriftstellerin Agatha Christie. Doch den Haushalt führt die energische Phyllida Bright, und sie ist es auch, die am ersten Morgen der Festlichkeiten in der Bibliothek einen fremden Toten findet. Sie weiß, dass Aufsehen unbedingt zu vermeiden ist und die örtliche Polizei zur Umständlichkeit neigt. Während im Garten ein Heer von Fotografen lauert, beschließt Phyllida, in die Fußstapfen ihres hochverehrten Hercule Poirot zu treten - mit ungeahnten Folgen...

7. Jürgen Habermas - "Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik"

Jürgen Habermas befasst sich mit dem Plattformcharakter der neuen Medien und analysiert, wie sich die rasante Veränderung der Medienlandschaft auf den Strukturwandel der Öffentlichkeit auswirkt. Dabei erkennt er die Gefahr, dass die neuen Formen der Kommunikation die Selbstwahrnehmung der politischen Öffentlichkeit zersetzen, was desaströse Folgen für eine Demokratie mit sich bringt, die von freier Willens- und Meinungsbildung lebt.

Verlagsankündigung (Suhrkamp)

1962 erschien Strukturwandel der Öffentlichkeit, Jürgen Habermas' erstes Buch. In sozialhistorischer und begriffsgeschichtlicher Perspektive profiliert er darin einen Begriff von Öffentlichkeit, der dieser einen Platz zwischen Zivilgesellschaft und politischem System zuweist. Der Strukturwandel reihte sich alsbald ein unter die großen Klassiker der Soziologie des 20. Jahrhunderts und hat eine breite Forschung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften angeregt. Und auch Habermas selbst hat sich in späteren Arbeiten immer wieder mit der Rolle der Öffentlichkeit für die Bestandssicherung des demokratischen Gemeinwesens beschäftigt. Angesichts einer durch die Digitalisierung veränderten Medienstruktur und der Krise der Demokratie kehrt er nun erneut zu diesem Thema zurück.

8. Marilynne Robinson - "Jack"

Seit der deutschen Veröffentlichung des dritten Bandes ihrer "Gilead"-Trilogie - "Lila" (2015) -, wird die amerikanische Autorin und Pulitzer Preis-Trägerin Marilynne Robinson auch hierzulande stärker rezipiert. In ihrem aktuellen Roman "Jack" erzählt sie die Geschichte eines verlorenen Sohns, einer verzweifelten Liebe und einer Gesellschaft, deren tiefverwurzelter Rassismus Leben und Schicksale vernichtet. Wie in ihren bisherigen Büchern auch, bewegt sich unter diesem Arrangement die Geschichte Amerikas.

Verlagsankündigung (S. Fischer)

Jack ist der verlorene Sohn einer weißen Familie. Sein Vater ist Priester, aber er ein obdachloser Herumtreiber und charmanter Vortänzer in schäbigen Dancehalls. Ihn bindet eine zärtlich tragische Beziehung an Della, einer Schwarzen Lehrerin – ein Tabubruch in den USA der fünfziger Jahre, der ihr Leben aus den Angeln hebt. Roman für Roman folgt Marilynne Robinson in ihrer Tetralogie den verzweigten Lebensläufen der Menschen in Gilead, einer kleinen Stadt im Mittleren Westen. Wie in einem Brennglas erfasst sie auf subtile und stille Art die Geschichte Amerikas.

9. Richard David Precht & Harald Welzer - "Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist"

Keine deutschsprachige Buchveröffentlichung erregte in diesem Jahr so viel Aufsehen wie diese. In ihrem ersten gemeinsamen Buch "Die vierte Gewalt" beschäftigen sich die Bestsellerautoren Richard David Precht und Harald Welzer mit den Funktionsweisen und Mechanismen der deutschen Medienlandschaft. Als "Fans" der deutschen Qualitätspresse, sehen sie ebendiese in Gefahr. Denn diese laufen Gefahr, unter ihrem Bestreben, Meinung zu machen, das Abbilden der öffentlichen Meinung zu vergessen.

Verlagsankündigung (S. Fischer)

Was Massenmedien berichten, weicht oft von den Ansichten und Eindrücken großer Teile der Bevölkerung ab – gerade, wenn es um brisante Geschehnisse geht. So entsteht häufig der Eindruck, die Massenmedien in Deutschland seien von der Regierung oder »dem Staat« manipuliert. Aber die heutige Selbstangleichung der Medien hat mit einer gelenkten Manipulation nichts zu tun. Die Massenmedien in Deutschland sind keine Vollzugsorgane staatlicher Meinungsmache. Sie sind die Vollzugsorgane ihrer eigenen Meinungsmache: mit immer stärkerem Hang zum Einseitigen, Simplifizierenden, Moralisierenden, Empörenden und Diffamierenden. Und sie bilden die ganz eigenen Echokammern einer Szene ab, die stets darauf blickt, was der jeweils andere gerade sagt oder schreibt, ängstlich darauf bedacht, bloß davon nicht abzuweichen. Diese Angst ist der bestmögliche Dünger für den Zerfall der Gesellschaft. Denn Maßlosigkeit und Einseitigkeit des Urteils zerstören den wohlmeinenden Streit, das demokratische Ringen um gute Lösungen.

10. Martin Mosebach - "Taube und Wildente"

Martin Mosebach serviert ein weiteres Mal eine Geschichte über die Absurditäten des Zwischenmenschlichen. In diesem Roman ist es ein Stillleben aus dem 19. Jahrhundert, "Taube und Wildente", das zum Ausgangspunkt eines Ehekrachs wird. Denn wo fände sich mehr Vernarrtheit, Betrug und Verrat, als in der Kunst?

Verlagsankündigung (dtv)

Wie jedes Jahr verbringt die Familie Dalandt den Sommer auf ihrem Landsitz in der Provence. Die Hitze macht träge, in der Zypresse zirpen Zikaden, und jeden Morgen läuft die Hausherrin im Nachthemd durch den Garten zum Pförtnerhaus, wo der Verwalter sie erwartet. Ihr Mann ist durch eine eigene verhängnisvolle Beziehung abgelenkt. Da entzündet sich ein Ehestreit an "Taube und Wildente", einem Stillleben aus dem 19. Jahrhundert. Was hat es mit dem zinnoberroten Punkt in seinem Zentrum auf sich, macht der es nicht zu einem modernen Meisterwerk? Aber die Frau will es verkaufen, die Spannung zwischen beiden wächst.

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