In seinem 2007 erschienen Roman "Metro 2033" zeigte Dmitry Glukhovsky eine dystopische Welt, in der Moskau von Mutanten und Ungeheuren bevölkert ist, während die wenigen verbliebenden Menschen im weit verzweigten U-Bahn-Netz der Stadt leben und neue, eigenartige Gesellschaftsformen entwickeln. Kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine meldeten sich ukrainische LeserInnen bei Glukhovsky und erklärten, sie lebten nun wie die Helden seiner dystopischen Trilogie. Vor dem Grauen geflohen, zusammengepfercht, im Untergrund. In seinem nun bei Heyne erschienenen Buch "Geschichten aus der Heimat" führt uns Glukhovsky das russische Gesellschaftsgefüge am Beispiel einzelner Geschichten vor Augen, die ebenso düster wie skurril daherkommen.
Der russische Schriftsteller Dmitry Glukhovsky ist in seinem Heimatland das, was man einen Staatsfeind nennen könnte. Mit aller Vehemenz hatte sich Glukhovsky gleich nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gegen diesen ausgesprochen, hatte den völkerrechtswidrigen Feldzug auf Instagram und YouTube wieder und wieder kritisierte, bis er schließlich im Juni zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Zu groß war die Aufmerksamkeit, die der Autor bündelte, zu groß die Fangemeinde, die sich um Glukhovsky versammelt. In seiner dystopischen Trilogie "Metro 2033", deren erster Band 2007 erschien, entwarf der nun "irgendwo" in Europa lebende Bestsellerautor ein von Mutanten und abscheulichen Gestalten bevölkertes Moskau, zeigte Angst und Beklemmung einer Restbevölkerung, die, im Untergrund (über)lebend, neuen Gesellschaftskonstellationen ausgesetzt ist. Während die monströsen Gestalten unaufhörlich versuchen, von ob in die Metro einzudringen, macht sich der Held des Romans, der junge Artjom, auf den Weg durch die U-Bahn-Tunnel. Er sucht ein Objekt, welches die Menschheit vor der Vernichtung bewahren soll.
Dmitry Glukhovsky hat aus dem untergründigen Brodeln, welches nicht nur er in Russland erahnte, ein Abenteuer gemacht. Nicht weil er leichtfertig oder gar naiv mit seinen Beobachtungen umging, sondern weil er wusste, dass der Schrecken erträglicher wird, wenn er in abenteuerlicher Verkleidung daherkommt. Wenn ukrainische Leserinnen und Leser dem Autor heute aus der Verbunkerung heraus schreiben, sie fühlten sich nun wie die Helden seines Romanes, dann ist das nicht zuletzt deshalb beklemmend, da man sich die Versuche vorstellen kann, diesen realen Schrecken in ein Abenteuer zu verwandeln.
Skurrile Storys über den Wahn eines Landes
Vor gut einem Monat ist nun der Erzählband "Geschichten aus der Heimat" in deutscher Übersetzung (Christiane Pöhlmann, M. David Drews und Franziska Zwerg) bei "Heyne" erschienen. Bereits dem Titel haftet - bei genauerem Hinsehen - etwas Melancholisches an. Denn Glukhovsky wird das, was hier Heimat genannt wird, aufgrund der gegen ihn gerichteten Repression wohl nicht so schnell wiedersehen können. Heimat - das werden also vorerst Geschichten bleiben müssen.
Diese sind skurril und düster, humorvoll und abschreckend, oft absurd, aber selten so, dass wir nicht sofort eine reale Entsprechung finden würden. Da landet beispielsweise ein UFO mitten in Moskau. Ein Schrecken, eine Sensation! Der Journalisten Sascha, live vor Ort und wohl der erste Journalist, der nun ein Interview mit einem Alien führen kann, sieht seine große, historische Chance. Doch aus dem Interview will nichts werden. Nicht, weil die außerirdischen Lebewesen etwas dagegen hätten oder weil es technische Probleme gibt, sondern weil der Sender - der "wichtigste Kanal" des russischen Fernsehens - immer wieder einen Bericht über den Präsidenten, oder einen über den Premierminister bringt, bzw. bringen muss.
Glukhovsky rekurriert auf den Kremlherrscher Putin als erotische Frauenphantasie, wenn er eine junge, provinzielle Heldin ins Feld führt, die eines Tages in einer Wolke, nebulos und wie berauscht, ihren Traummann zu erkennen glaubt. Diese magische Wolke schmückt nicht nur den grauen, trostlosen Alltag des Landlebens, sondern schwängert auch die ebendort lebenden Frauen. Russland, das weiß Putin, das weiß Glukhovsky, braucht schließlich Menschen.
Wladimir Sorokin hinter putintreuen Büchern: Der Zustand der russischen Opposition
In einer anderen, mit "Tango" überschriebenen Erzählung wird gezeigt, wie Staatshörigkeit und Unterwürfigkeit Biografien macht. Zwei Ex-Aktivisten treffen aufeinander. Beide waren sie an der von rechter Seite organisierten Aktion vor dem Bolschoi-Theater im Jahre 2005 beteiligt, wo Bücher des Moskauer Schriftsteller Vladimir Sorokin zerrissen, und in ein rissiges Klo geworfen wurden. Einer der Beiden ist Geschäftsmann, ein Unternehmer, dessen Firma allerdings verstaatlicht wurde. Der andere Ex-Aktivist ist Teil des staatlichen Sicherheitsapparats geworden. Der Unterschied dieser beiden Biografien verbirgt sich in der Bibliothek des Unternehmens, wo eine Sorokin-Ausgabe versteckt liegt. Eine Literatur, vor der der staatstreue Beamte nur ausspucken kann und die er angewidert ablehnt.
Literatur, das zeigt uns Glukhovsky unter anderem in diesem Stück, kann biografisches Bindemittel sein, eine identitätsstiftende Form der Gegenbewegung. Nicht erwähnenswert, dass dies sowohl für Rechts wie für Links gilt, für Autokraten ebenso wie für Demokraten. Dass die Sorokin-Ausgabe - als Symbol einer freien, aufbegehrenden Sprache - hinter einer Armada von Büchern versteckt werden muss, die putintreue, neoimperialistische Inhalte aufweisen, zeigt schmerzhaft, wie es um die Handlungsmöglichkeiten der russischen Opposition bestellt ist.
Um zu unterstützen, müsse Putin durch militärische Misserfolge geschwächt werden, wiederholte Glukhovsky zuletzt immer wieder. Zugleich warnt er vor einer Abschottung Russlands gegenüber den Westen. Denn ein solches Abgeschottet-Sein könnte die dystopischsten Zukunftsszenarien Realität werden lassen.
Dmitry Glukhovsky - "Geschichten aus der Heimat" / Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann, Franziska Zwerg und M. David Drews / Heyne Verlag / 2022 / 445 Seiten / 24 Euro