Der mit 25.000 Euro dotierte Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr an den Debütroman "Blutbuch" von Kim de l'Horizon. In dem Roman wird die Suche einer non-binären Person nach der eigenen Sprache beschrieben. Während der Dankesrede im Kaisersaal des Römers, rasierte sich de l'Horizon den Kopf und zeigte so Solidarität mit den Frauen im Iran.
"Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman "Blutbuch" nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht?", heißt es in der Begründung der Jury, die in diesem Jahr einen Debütroman ausgezeichnet hat. Geschrieben wurde es von der im Jahr 2666 (Verlagsangaben) geborenen Person Kim de l‘Horizon. Während der Preisverleihung im Frankfurter Römer rasierte sich de l‘Horizon den Kopf - und zeigte so Solidarität mit den Frauen im Iran.
"Blutbuch" - Sich selbst Erhaltenes, sich selbst Zerstörendes
Kim de l‘Horizon erzählt in "Blutbuch" von Selbstermächtigung, von den Verzweigungen und Verästelungen dessen, was Identität genannt wird, und vom Abkappen einzelner Stränge im Prozess des Schreibens. Im Hintergrund dieser Selbstfindung sitzt stets die eigene Familie, die Mutter und Großmutter, "Meer" und "Großmeer" im Berndeutschen. Dieser brutale und zuweilen radikale Prozess wird mit märchenhaften Bildern kontrastiert. Kim, die Erzählfigur, erkundet schreibend die Familiengeschichte. Anlass ist die einsetzende Demenz der Großmutter. "Blutbuch" beleuchtet dabei diverse Tableaus, die miteinander in Beziehung gesetzt und abgewogen werden. Von der Kulturgeschichte der Blutbuche - die im Garten der Großmutter steht und zu der Kim früh Nähe aufbaut - über die Geschichte der Hexenverfolgung bis hin zu den Ängsten nonbinärer Körper in der Gegenwart. Generell sind es Körper und ihre Geschichten, die hier beleuchtet werden; menschliche Körper, pflanzliche Körper, sich selbst Erhaltendes, sich selbst Zerstörendes. Letztlich endet Kim de l‘Horizon gewissermaßen beim Wasser. Was bei der "Meer" und der "Großmeer" begann, schließt sich somit zumindest auf sprachlicher Ebene.
"Ich denke, wir können den Herausforderungen des Lebens nur begegnen, wenn wir es mit offenen Armen empfangen. Wenn wir die Gefühle, die es auslöst, die Trauer, die Wut, die Scham, wenn wir alle schwierigen Gefühle auch wirklich spüren. Und das ist in ,Blutbuch’ einerseits eine non-binäre Hauptfigur, die da zurechtkommen muss. Und es ist das Verarbeiten einer Familiengeschichte, von den weiblichen Geschichten einer Familie, die auch mit viel Schmerz verbunden sind, mit Verunmöglichungen, weil sie Frauen waren. Die Mutterfigur beispielsweise, die nicht studieren ging, weil die Eltern sie nicht unterstützt haben, weil sie ein Mädchen war. Also wir sehen: Geschlecht wird überall auf der Welt benutzt, um den Status Quo beizubehalten, um die Macht bei den Körpern zu behalten, die sie hat. Und dagegen schreibe ich an." (Kim de l’Horizon über Blutbuch)
Größte Konkurrenz war wohl Jan Faktor
Vor kurzem erst wurde der Schriftsteller Jan Faktor für seinen ebenfalls auf der Shortlist vertretenden Roman "Trottel" mit dem hochdotierten Wilhelm-Raabe-Preis ausgezeichnet. Im Gespräch zur Verleihung des Wilhelm-Raabe-Preises hatte Jurymitglied Hubert Winkels (Deutschlandfunk) bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man sich in den Juryrängen des Deutschen Buchpreises trotz der Verleihung nicht zurückhalten solle. Doch scheinbar wären zwei der größten deutschen Literaturauszeichnungen innerhalb von zwei Wochen für ein und dasselbe Buch doch etwas zu viel gewesen. Miriam Zeh, diesjährige Juryvorsitzende, verwies dabn auch recht transparent auf die Schwierigkeiten, die die Entscheidung in diesem Jahr mit sich brachte.
Emotionale Preisverleihung
Kim de l’Horizon hatte zur Preisverleihung keine Dankesrede vorbereitet. Stattdessen gab es Performance. Zunächst sang de l’Horizon das Lied "Nightcall", welches die Sprache "für etwas Schwieriges" finde, das in einer Person vorgehe. Dann Griff Kim de l’Horizon zum Rasierer, und schnitt sich die Harre ab. Das Publikum applaudierte.
"Dieser Preis ist nicht nur für mich. Ich denke, die Jury hat diesen Text auch ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen gegen den Hass, für die Liebe, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden. Dieser Preis ist offensichtlich auch für die Frauen im Iran, zu denen wir alle schauen.", so Kim de l'Horizon. "Wir können nur von diesen Frauen lernen, die so mutig sind, die so unglaublich stark sind, die überhaupt nicht in unser westliches Bild von Weiblichkeit hineinpassen. Und darum geht es auch: um unseren Blick zu dezentrieren, von dem, was wir denken, was wichtig ist, und überhaupt von der Welt."