Die Shortlist für den Österreichischen Buchpreis steht fest. Sie liest sich deutlich besser als die der deutschen Kolleginnen und Kollegen...
Und was im ersten Schwung nicht klappte, das klappt nun im zweiten. Mit Reinhard Kaiser-Mühleckers "Wilderer" und Anna Kims "Geschichte eines Kindes" haben es zwei herausragende Romane auf die Shortlist des Österreichischen Buchpreises geschafft, denen der Einzug ins Finale um den Deutschen Buchpreis verwehrt geblieben ist. Da haben sich die österreichischen Kolleginnen und Kollegen dann doch darüber verständigen können, dass die Vergabe eines Buchpreises an die literarische Qualität der einzelnen Titel, nicht an politische Kalküle zu koppeln ist. Helena Adlers "Fretten", Robert Menasses "Die Erweiterung" und Verena Rossbachers "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" vervollständigen die Liste.
Die Shortlist im Überblick
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Helena Adler – Fretten (erschienen beim Jung und Jung Verlag)
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Reinhard Kaiser-Mühlecker – Wilderer (erschienen beim S. Fischer Verlag)
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Anna Kim – Geschichte eines Kindes (erschienen beim Suhrkamp Verlag)
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Robert Menasse – Die Erweiterung (erschienen beim Suhrkamp Verlag)
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Verena Roßbacher – Mon Chéri und unsere demolierten Seelen (erschienen bei Kiepenheuer & Witsch)
Der Österreichische Buchpreis
Der Österreichische Buchpreis wird vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels und der Arbeiterkammer Wien ausgerichtet. Ziel des Wettbewerbs ist es, die Qualität und Eigenständigkeit der österreichischen Literatur zu würdigen und ihr im gesamten deutschsprachigen Raum die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen.
In diesem Jahr reichten 58 Verlage insgesamt 110 Bücher für den Österreichischen Buchpreis ein. Für den Debütpreis haben 18 Verlage 23 Erstlingstitel eingereicht. Damit standen insgesamt 133 Werke zur Wahl, die zwischen 8. Oktober 2021 und 11. Oktober 2022 erschienen sind bzw. noch erscheinen werden.
Der Preis ist mir insgesamt 45.000 Euro dotiert. Der Gewinnertitel wird dabei mit 20.000 Euro gekürt, die vier Shortlist-Bücher erhalten je 2.500 Euro. Der Debütpreis ist mit 10.000 Euro dotiert. Zwei weitere Titel der Debütpreis-Shortlist erhalten je 2.5000 Euro.
Die Bücher der Shortlist
Helena Adler - "Fretten"
Dem Elternhaus ist sie mit knapper Not entkommen, da bemerkt sie, die jüngste Tochter des Pleitebauern: Der Provinz entkommt man nicht. Also schließt sie sich einer Bande von Vandalen und Störenfrieden an, die die Provinz in die nahe Stadt tragen, den Schlachthof plündern und in Tierkadavern Drogen schmuggeln. Sie tanzen und sie wüten, sie spielen mit ihren Leben, weil sie es gewohnt sind, zu verlieren. Die Party ist erst aus, wenn die nächste beginnt, das Motto lautet »Überleben«. Bis plötzlich nicht nur die eigene Existenz auf dem Spiel steht: Sie gebiert einen Sohn, den sie liebt wie einen Erlöser, und wird in dieser Liebe zu einem Scheusal im Kampf gegen die Sterblichkeit. Fretten ist ein Bastard, ein Bankert, ein Mischling aus Lebensanklage und Liebeserklärung, gezeugt im Rausch der Verewigungssucht, im heiligen Zorn auf die Existenz und den Tod, geboren in Trümmern aus der Lust am Tabubruch. Es nennt beim Namen, was einen Namen hat, und zwar nicht zwischen den Zeilen, sondern Schwarz auf Schwarz, mit Sprachgewalt und einem Galgenhumor, dass einem die Luft wegbleibt. (Verlagsankündigung / Jung und Jung)
Reinhard Kaiser-Mühlecker - "Wilderer"
Jakob führt den Hof der Eltern und kämpft gegen den Niedergang. Als die Künstlerin Katja sich als Praktikantin anbietet, scheinen sich die Dinge zum Guten zu wenden. Gemeinsam bauen sie eine biologische Tierhaltung auf, sie heiraten und bekommen einen Sohn. Doch Jakob findet keine Ruhe, sein grausamer Zorn bricht immer wieder hervor. Hat Katja ihn getäuscht, hat sie nur mal einen wie ihn haben wollen, einen Bauern? Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt von Herkunft und existentieller Verlorenheit in einer Welt, die sich radikal wandelt. (Verlagsankündigung / S. Fischer)
Anna Kim - "Geschichte eines Kindes"
In einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Wisconsin bringt im Juli 1953 die zwanzigjährige Telefonistin Carol Truttmann ein Kind zur Welt. Noch in derselben Nacht gibt sie den Jungen zur Adoption frei. Daniel, so sein Name, bleibt in der Obhut eines Sozialdienstes. Bald sehen sich die betreuenden Kinderschwestern mit einem aus ihrer Sicht schwerwiegenden Verdacht konfrontiert: Das Baby scheint, anders als von der Mutter angegeben, nicht »weiß« zu sein, sondern, wie es in der Behördensprache der damaligen Zeit heißt, »indianisch«, »polnisch« oder »negrid« - ein Skandal in einer homogen weißen, den rigorosen Gesetzen der Rassentrennung unterworfenen Gesellschaft. Eine Sozialarbeiterin soll die wahre ethnische Herkunft des Kindes ermitteln. Dazu muss sie allerdings den Vater des Kindes ausfindig machen, dessen Identität die leibliche Mutter nicht preisgeben will …
Robert Menasse - "Die Erweiterung"
Zwei Brüder, nicht leibliche Brüder, sondern „Blutsbrüder“, verbunden durch einen Schwur, den sie im polnischen Untergrundkampf gegen das kommunistische Regime geleistet haben, gehen nach dessen Zusammenbruch getrennte Wege. Der eine, Mateusz, steigt in höchste Ämter auf und wird schließlich polnischer Ministerpräsident. Der andere, Adam, macht nach dem EU-Beitritt Polens in der Europäischen Kommission Karriere, in Brüssel ist er zuständig für die Erweiterungs-Politik. Während die Vorbereitungen für die Westbalkankonferenz im polnischen Poznan auf Hochtouren laufen, bittet Adam Mateusz um Unterstützung, doch der beginnt das Beitrittsgesuch Albaniens zu unterminieren. Aus der einstmals tiefen Verbundenheit wird eine unversöhnliche Feindschaft von europäischer Dimension. Auf einer vom albanischen Ministerpräsidenten organisierten Kreuzschifffahrt auf der SS Skanderbeg, zu der er alle Regierungschefs der Balkanstaaten, die EU-Außenminister und sämtliche Vertreter der Europäischen Union eingeladen hat, treffen die Beiden wieder aufeinander. Was dann passiert, steht längst nicht mehr in ihrer Macht. (aus der Verlagsankündigung / Suhrkamp Verlag)
Verena Roßbach - "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen"
Mit unverbrüchlichem Optimismus und irre gut gelaunt strauchelt Charly Benz seit 43 Jahren durch ihr Leben. Sie arbeitet im Marketing einer Berliner Foodcompany, ernährt sich von angebrannten Croissants und bespricht ihre Beziehungsprobleme – die darin bestehen, dass sie keine Beziehung hat – mit ihrem einzigen Freund: Herr Schabowski, ein sechzigjähriger Mann, der ihre Post und Ängste sortiert. Doch als dieser eine tödliche Diagnose erhält, ihr erster Versuch einer Systemischen Familienaufstellung in einem Debakel endet und plötzlich gleich drei Männer ihr Leben gehörig durcheinanderbringen, verlässt Charly allumfassend der Mut. Den sollte sie schleunigst wiederfinden, sie ist nämlich schwanger. Sie und Schabowski beschließen, ihre Probleme proaktiv anzugehen: Sie flüchten. Und zwar nach Bad Gastein, ein ehemals mondäner Kurort im Südwesten Österreichs. In einem leerstehenden Hotel der Jahrhundertwende, das einst Charlys Vater gehörte, stellen sie fest: Man kann sich die Menschen, mit denen man verwandt ist, nicht aussuchen – seine Familie aber schon. (aus der Verlagsankündigung / Kiepenheuer & Witsch)