Morgen um 13 Uhr gibt die Schwedische Akademie bekannt, wer in diesem Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Seit knapp einer Woche ist der Literaturbetrieb am rätseln, wirft Namen auf, die alljährlich wiederholt werden; Haruki Murakami, Margaret Atwood, Ngugi wa Thiong’o, Ljudmila Ulizkaja. Ein etwas frischerer Favorit ist der Franzose Michel Houellebecq, den einige weit vorne sehen.
Wer wird in diesem Jahr den Literaturnobelpreis gewinnen? Die Kanadierin Margaret Atwood, die insbesondere durch die Netflix-Verfilmung ihres Romans "The Handmaid´s Tale" ("Der Report der Magd") erneut zu den Nobelpreis-AnwärterInnen gezählt wird? Der mittlerweile 84 Jahre alte, kenianische Schriftsteller Ngugi Wa Thiong'o, der bereits seit vielen Jahren zum engeren Favoritenkreis gehört? Oder vielleicht Salman Rushdie, der ebenfalls seit Jahren hoch im Kurs steht, und vor kurzem während eines Auftrittes auf offener Bühne angegriffen und mit einem Messer attackiert wurde. Aufgrund der Veröffentlichung seines Romans "Die satanischen Verse" wurde Rushdie 1988 von dem damaligen iranischen Staatschef Chomeini mit einer Fatwa belegt und zum Tode verurteilt. Der Schriftsteller überlebte den Anschlag am 12. August nur knapp.
Selbstverständlich gibt es weitere Anwärter. Die russische Schriftstellerin Ljudmila Jewgenjewna Ulizkaja ist im vorletzten Jahr zum Favoritenkreis hinzugestoßen. Der Niederländer Cees Nooteboom wurde bereits 1990 für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, und ist seither immer wieder im Gespräch; ebenso wie der Japaner Haruki Murakami, der von verschiedenen Rezensenten wiederholt als der populärste und einflussreichste Schriftsteller seiner Generation bezeichnet wird. Doch tauchen auch immer mehr neue Namen auf. So Beispielswiese die Norweger Dag Solstad und Jon Fosse oder die französische Autorin Annie Ernaux.
Politische Wahl?
Auch relativ neu auf der Liste ist der Franzose Michel Houellebecq, der, davon kann man bereits jetzt ausgehen, sollte er den Literaturnobelpreis erhalten, augenblicklich zum Gegenstand heftigster Kontroversen werden würde. Houellebecq ist einer der schärften Kritiker dessen, was man wohlwollend als westliche Doppelmoral bezeichnen kann. Seine Roman - die stets auch wirtschaftliche Dynamiken (am stärksten wohl in "Plattform") in den Blick nehmen - verweisen auf den Narzissmus einer konsumgetriebenen Gesellschaft und werden heftig diskutiert. Dabei scheint der Franzose die beinahe unheimliche Gabe zu besitzen, gesellschaftlich höchstrelevante Entwicklungen anhand von winzigen Verschiebungen vorauszuahnen, und literarisch auszugestalten.
So fand am Tag des Erscheinens seines Romans "Unterwerfung" der islamistische Terror-Anschlag auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" statt. Houellebecq beschreibt in seinem Buch die Prozesse der Machtübernahme einer Islampartei in Frankreich und deren Folgen. In seinem Anfang 2019 erschienen Roman "Serotonin" beschreibt der Autor die wirtschaftliche Verlelendigung der französischen Provinz sowie die darauf folgenden Aufstände, womit er gewissermaßen die Gelbwestenbewegung beschrieb. In Houellebecq´s letztem Roman "Vernichten" lassen sich durchaus Parallelen zu den Lecks in den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 entdecken.
Fest steht, dass die Wahl des Nobelpreisträgers, insbesondere im Bereich der Literatur, stets auch eine politische Komponente hat. Es ist in dieser Hinsicht eben ein Unterschied, ob man Salman Rushdie oder Michel Houellebecq kürt. Die Wahl Rushdies würde unter Umständen als eine Wahl für die Freiheit des Wortes gefeiert, die Wahl Houellebecq´s als eine Wahl für die Radikalität des offen ausgesprochenen Wortes angefeindet werden.
Literaturnobelpreisträger kam abzusehen
Mit Abdulrazak Gurnah hat im vergangenen Jahr ein Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur erhalten, mit dem niemand gerechnet hatte. Ein Jahr zuvor hatte Louise Glück den Preis erhalten; ebenfalls eine Überraschung. Wer auf der Liste des mit zehn Millionen schwedischen Kronen (etwa 920.000 Euro) dotierten Preis steht, weiß man nicht. Bekannt ist lediglich, dass es sich um 233 Namen handelt.