Am 1. Oktober wird der Investigativ-Reporter Günter Wallraff 80 Jahre alt. In einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" sprach er von einem neuen Undercover-Einsatz und verriet, dass er derzeit an seiner Autobiografie sitz. Wallraffs 1985 erschienen Buch "Ganz unten" erzielte allein in Deutschland eine Millionenauflage und wurde in 38 Sprachen übersetzt.
Dass er 80 Jahre alt werden würde, damit hätte Günter Wallraff wohl selbst nicht gerechnet. Der Publizist, der mit seinen Rollen als Gastarbeiter Ali und als Hans Esser bei der "BILD"-Zeitung zu Deutschlands bekanntestem Untercover-Journalisten avancierte, scheute keinerlei Gefahren, wenn es um das Aufdecken von Missstände ging: "Es kann vorkommen, dass ich mich mit etwas so identifiziere, dass ich alles riskiere. Und unter Umständen auch bereit bin, mein Leben aufs Spiel zu setzen", sagte Wallraff unlängst in einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Angesichts dieser Rigorosität ist es vielleicht angebracht, nicht von einem Beruf, sondern von einer Berufung zu sprechen.
Neue Rolle und Autobiografie
Auch von Altersmüdigkeit kann im Falle Wallraffs nicht die Rede sein. "Ich habe noch was vor", sagt er im Interview, und sprach von zwei bis drei Jahren Vorbereitungszeit für eine neue Rolle. "Die lebe ich sehr bewusst, um das noch zu erreichen." Außerdem verriet er, dass er derzeit an seiner Autobiografie schreibe.
Er sei von Natur aus ein unruhiger Mensch, erklärte der Autor. Täglich erreichen ihn Mails und Anrufe, nicht selten Hilferufe, in denen ihm von Missständen berichtet werde. "Ich kann nicht einfach sagen: Ich kann nichts machen. Kann ich ja manchmal doch noch."
"Kulturelle Aneignung"
Wallraffs Vehemenz blieb nicht kritiklos. Am härtesten wurde er nach eigener Aussage für seine Rolle als Schwarzer angegangen. 15 Jahre ist es her, als ihm wegen "Blackfacing" kulturelle Neigung vorgeworfen wurde. Das Grundanliegen identitätspolitischer Bewegungen halte er durchaus für "berechtigt und überfällig". Doch es gebe "bestimmte Lager, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen und keine Differenzierungen mehr zulassen - sie schaffen oft neue Gräben und Grenzen", so der Autor weiter.
Günter Wallraff, Salman Rushdie und die "Satanischen Verse"
Systematisch angelegte Gräben und Grenzen zu überwinden, um das Terrain und Leben jener kennenzulernen, mit denen man sonst gut und gerne Mitleid hat, war Günter Wallraff eine Lebensaufgabe. Er malochte am Fließband, schleppe Pakete, lebte als Obdachloser, um später nicht "über" sondern "aus etwas heraus" berichten zu können. In seinem Haus kamen Geflüchtete, Verfolgte und gesellschaftlich Aussortierte unter. Der bekannteste dieser "Besucher" war der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie, der kürzlich erst während einer Veranstaltung auf offener Bühne mit einem Messer attackiert wurde.
1993 kam Rushdie bei dem Journalisten unter. Vier Jahre zuvor hatte der damalige iranische Staatschef Chomeini den Schriftsteller mittels einer Fatwa zum Tode verurteilt. Grund war dessen kurz zuvor erschienener Roman "Die satanischen Verse". Als Wallraff im Jahr 2007 den Vorschlag machte, die "Satanischen Verse" in einer Kölner Moschee zu lesen, kam es zu medialen Aufgeregtheitheiten. Wallraff gab damals an, er wolle die "Türkisch-Islamische Anstalt für Religion" beim Wort nehmen, die verkündete, sie wolle sich öffnen und in die Moschee zu kulturellen Veranstaltungen einladen.
Wallraff hatte damals eine Unterschriftenaktion für Rushdies und dessen Buch gestartet. Auch bei Muslimen. "Unterschrieben haben ausschließlich Intellektuelle, die dem islamischen Kulturkreis angehören, aber keine Moscheegänger sind. Alle anderen Muslime nicht, weil sie die Fatwa entweder befürworteten oder sich zumindest aus einem falsch verstandenen Zugehörigkeitsgefühl nicht dagegen verwahren wollten." (Der Spiegel berichtete) Um die gegen Rushdie ausgesprochene Fatwa zu akzeptieren, müsse man doch wenigsten den Inhalt des Buches kennen, begründete Wallraff sein Vorhaben. Die "Türkisch-Islamische Anstalt für Religion" hatte den Vorschlag abgelehnt.
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