John McWhorter - „Die Erwählten" "Woker" Antirassismus als gefährliche Religion?

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In seiner Streitschrift "Die Erwählten. Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet" zeigt der Linguist John McWhorter, dass der linken "woke racism"-Bewegung antiaufklärerische, fundamentalistische Tendenzen zugrunde liegen. Bild: Hoffmann und Campe

Der US-amerikanische Linguist John McWhorter entdeckt in der Haltung und Praxis "woker" Antirassisten fundamentalistische Tendenzen, die seiner Ansicht nach zur Spaltung der Gesellschaft führen. In seinem Buch "Die Erwählten" reiht er Beobachtungen aneinander, die seine These, es handle sich bei vielen Anhängern der "Black Lives Matter"-Bewegung eher um Anhänger einer neuen Religion als um progressive Aktivisten, untermauern. Wie viel Raum liegt zwischen integren Ansichten und ideologischer Zensur?

"Die Erwählten" - so nennt der Linguist John McWhorter jene politischen Akteure, die sich aus rein performativen Gründen gegen Rassismus auflehnen. McWorther bezeichnet sie in seinem Buch als die Jünger einer neuen Religion. In Professoren und Autoren glaubt er Hohepriester zu erkennen, die eher predigen als aufklären wollen. Unausgesetzt verweisen diese "woken" Prediger auf ein und dasselbe Problem, ohne tatsächlich an der Lösung dieses Problems interessiert zu sein. Warum? McWhorters Argumentation ist folgerichtig: Mit der Lösung jener Probleme, gegen die sie tagtäglich aus voller Überzeugung anpredigen können, würde auch ihre Prediger-Position verloren gehen. Ein Selbstwiderspruch, der jedem künstlerischen Werk eigen ist, das lediglich auf politische Probleme zielt. John McWhorter trägt in seinem Buch "Die Erwählten" Beobachtungen und Überlegungen zusammen, die seine These einer neuen, die Gesellschaft spalteten Religion stützen. Vieles ist überzeugend.

Um den Kern dieser Streitschrift besser verstehen zu können, ist es zunächst ratsam, auf den Originaltitel des in den USA bereits 2021 erschienenen Buches zu schauen, da dieser mit "Woke Racism" besser beschreibt, worauf McWhorter abzielt. Es handelt sich gewissermaßen um ein sich selbst erhaltendes System, in dem Antirassisten Rassismus aus rein performativen Gründen anklagen, um sich und ihre Identität erhalten zu können. Nicht umsonst schreibt McWhorter von einem Opferstatus, in dem es sich bequem einrichten lässt. Der Linguist geht aber weiter und attestiert den "woke racists" eine Radikalität und Ignoranz, wie man sie nur in religiösen Kreisen antrifft. Er schreibt: "Wir müssen diese Menschen sehen als das, was sie sind: Mitglieder einer Sekte, religiöse Fundamentalisten und Fundamentalistinnen"

Philister, Inquisitoren und Ketzer

"Die Erwählten haben einen Klerus", "Für die Erwählten gibt es die Erbsünde", "Die Erwählten sind evangelikal" oder "Für die Erwählten steht die Apokalypse vor der Tür" - so lauten einige Teilüberschriften, unter denen McWhorter ausbuchstabiert, wie die Strukturen des "Erwähltismus" funktionieren. In Autoren wie dem afroamerikanischen Ta-Nehisi Coates oder Ibram Kendi sieht er Hohepriester, deren Schriften - insbesondere Coates´ Artikel "Im Fall der Wiedergutmachung - er als Prediger-Schriften bezeichnet. Er findet Inquisitoren, die mit strengem und strafenden Blick die Social-Media-Landschaften durchqueren, um Philister und Ketzer aufspüren, die sie allenthalben finden und in der medialen Öffentlichkeit hinrichten. Beispiele hierfür finden sich bekanntlich genug. Der Kurator eines Kunstmuseums in San Francisco beispielsweise, der zur Kündigung genötigt wurde, weil er sagte, er könne weiße Künstler nicht einfach ignorieren. Auch hierzulande sind uns Universitäten bekannt, in denen jene, die nicht streng dem "Erwähltismus" folgen, an den moralischen Pranger gestellt werden. McWhorter spricht von Entlassungen und Kündigungen, und nicht zuletzt von den Anfeindungen, denen er selbst ausgesetzt war.

Wie entwaffnend und zum Teil absurd Glaubens- und Schuldbekenntnisse im Sinne des "Woke Racism" sind, zeigt ein im Buch angeführtes Beispiel, das uns an die juristische Fakultät der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois führt. Hier kamen die Dozentinnen und Dozenten der Uni zusammen, um ein Ritual durchzuführen, das in seiner Praxis an Sitzungen in Selbsthilfegruppen erinnert. Jede der - ausschließlich weißen - Personen stellte sich mit ihrem Namen und einem anschließenden Schuldgeständnis vor. "Ich heiße Emily M., und ich bin eine Rassistin"; "Ich heiße Sara S. und ich bin Rassistin. Ich versuche, mich zu bessern."

Der Autor finden viele Rituale dieser Art. Ein symbolischer Aktivismus, mit dem Weiße wiederholt auf ihre "Erbsünde" verwiesen und sich Schwarze in ihrem "Opferstatus" suhlen können.

Ein Problem, dem zu widerstehen wir lernen müssen

Wichtig ist, dass wir es bei "Die Erwählten" mit einem Essay, mit einer Streitschrift im besten Sinne, nicht mit einer wissenschaftlichen Arbeit zu tun haben. Die hier angestellten Beobachtungen sind als Denkanstöße formuliert, die einem linken "woken" Konformismus auf leidenschaftliche Art und Weise entgegengesetzt werden. McWhorter leugnet natürlich nicht, dass Rassismus - auch struktureller Rassismus - ein gewaltiges Problem darstellt. Er greift lediglich die atavistischen Reaktionen jener an, deren "Antirassismus" nicht zur Lösung des realen Rassismus-Problems beiträgt, eben weil es sich um Glaube, nicht um gesellschaftlichen Fortschritt geht. Mit diesen Tendenzen umzugehen, müssten wir lernen, so McWhorter:

"Ziel dieses Buches ist es zu zeigen, dass eine gewisse angesagte Einstellung weniger progressiv als vielmehr absonderlich ist, etwas, das wir nicht als höhere Weisheit durchgehen lassen dürfen, sondern das zu umgehen und dem zu widerstehen wir lernen müssen" ("Die Erwählten", S. 90)

Andere Strategien

Auch wenn es bequem erscheint: Schwarzen Kindern, die in der Schule schlecht abschneiden oder als ständig in Schlägereien verwickelte Akteure auffallen, sei nicht damit geholfen, wenn ganz einfach das Notenniveau gesenkt oder Ausnahmen gemacht würden. Ebenso verhält es sich mit dem ständige Reden über weiße Polizeigewalt. So schrecklich diese auch sei, es nützte der schwarzen Community nicht, wieder und wieder auf diesen Umstand zu rekurrieren. Indessen ginge die weitaus größte Gewalt gegen Schwarze von Schwarzen aus.

Laut McWhorter bedarf es anderer Strategien, um Ungleichheit und Rassismus zu bekämpfen und für mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit zu sorgen. Nach einer donnernden und oft erhellenden Streitschrift klingen die Vorschläge, die der Autor am Ende seines Buches bringt, ruhig und unaufgebracht. Ein letztes Gegengewicht zum vom Affekt bestimmten "woke racism": Mehr in Bildung investieren. Kampagnen zur Leseförderung. Ein besseres Angebot für Berufsausbildungen.


John McWhorter - "Die Erwählten. Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet" / aus dem Englischen übersetzt von Kirsten Riesselmann / Hoffmann und Campe / 2022 / 256 Seiten / 23 Euro.

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