Macht der Erinnerung, Macht der Emotionen, Macht der Sprache. Geht es darum, gesellschaftliche Spannungen und Verhärtungen in den Blick zu nehmen, kommt dem geschriebenen Wort eine besondere Rolle zu. Doch wie viel Macht hat die Literatur? Und wie äußert sich diese in den verschiedenen Darbietungsformen des Erzählens? Damit beschäftigt sich das fünfte "Textland Literaturfestival" in Frankfurt, welches am 30. September beginnt.
Vorausahnen, verstecken, erinnern, erdenken. Vergangenes in variierter Form in die Zukunft verlegen, Bilder erschaffen, die den gegenwärtig Zweifelten dazu ermutigen, seine Zweifel abzuschütteln und mit der Gestaltung eines Morgens zu beginnen, das er oder sie eben noch für undenkbar hielt: Von Beginn an war das geschriebene Wort - lang bevor man den Begriff "Literatur" als Kategorie einzelner Schriftstücke entwarf - ein ebenso wichtiges wie mächtiges Instrument der gesellschaftlichen Gestaltung. Im Namen schriftlicher Überlieferungen führte man Kriege. Aufgrund ihres Schreibens werden Menschen verfolgt und, wie uns kürzlich erst wieder erschreckenderweise vor Augen geführt wurde, angegriffen. Sprach- und Schreibweisen brechen Debatten vom Zaun. Bücher werden verboten. Das Wort, daran kann kein Zweifel bestehen, ist ein Politikum. Worin aber, besteht seine gewaltige Kraft, und wie weit kann sie führen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das diesjährige "Textland-Literaturfestival" am 30. September und 1. Oktober 2022.
Die beiden Festivaltage im Überblick
Freitag
Das Festival beginnt am Freitag um 19:30 Uhr im Frankfurter TITANIK Theater mit den Begrüßungsreden von Ute Bansemir und Leon Joskowitz. Unter dem Leitmotto "Die Macht der Literatur" stellen anschließend Lena Gorelik, Hadija Haruna-Oelker ("Die Schönheit der Differenz") und Ozan Zakariya Keskinkılıç ("Muslimaniac") ihre Bücher vor. In einer anschließenden Disskussion sprechen AutorInnen und ModeratorInnen über die Macht der Literatur und die Potenziale, die dem Erzählen, dem Schreiben und dem Lesen innewohnen.
Samstag
Am Samstag beginnt der zweite Tag gegen 11 Uhr mit einer Begrüßung ebenfalls im TITANIK Theater. Anschließend ist über den gesamten Tag folgendes Programm geplant:
- 1. Panel ab 11:30 Uhr: "Die Macht der Erinnerung 1" / Lesung und Gespräch mit Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah. Moderation: Hadija Haruna-Oelker und Lisa D. preugschat.
"Wie Literatur im Zeichen einer pluralen Erinne- rungskultur dazu beitragen kann, geistige Altlasten zu überwinden, führen Fatma Aydemir und Hen- gameh Yaghoobifarah vor Augen. In ihren Roma- nen setzen sie die Erfahrungen einer neuen Generation in lebendig-emanzipatorische Familien- erzählungen um. Im gemeinsamen Gespräch ergründen die Teilneh- menden, wie eine neue, deutsche, plurale Erinne- rungskultur auch bildungspolitisch zur Geltung kommen und inwieweit Erinnerungsliteratur an der Zukunft mitschreiben kann."
- 2. Panel ab 13 Uhr: "Die Macht der Erinnerung 2" / Szenische Lesung mit Ewe Benbenek. Moderation: Antigone Akgün
"Der hochmusikalische, polyphone Theatertext von Ewe Benbenek kreist um Familienerinnerungen und den wütenden Gedankenstrom einer um ihre Sprache und ihren Platz in der Welt ringenden Protagonistin. Über allem schwebt stets die Frage, wie man über jene Erfahrungen und Verletzungen in der eigenen Biografie sprechen kann, die sich einfachen Erklärungen entziehen. Was lässt sich als postmigrantisches Wissen bezeichnen? Und wie ist es möglich, dieses mit Menschen zu teilen, die nicht darüber verfügen?"
-
3. Panel ab 14:30 Uhr: "Die Macht der Erinnerung 3" / Lesung und Gespräch mit Dmitrij Kapitelman, Tanja Maljartschuk und Artur Becker. Moderation: Miryam Schellbach, Alexandru Bulucz
"Wie verwandeln Autor:innen Erinnerung in Litera- tur? Sie suchen eine Sprache, die sowohl die Ästheti- sierung als auch den Automatismus vermeidet, die das Vergangene nicht als vergangen behandelt und beruhigend als überwunden vermittelt, sondern den Spuren und Narben nachgeht und die noch offenen Wunden bloßlegt."
Die AutorInnen lesen dazu aus ihren Romanen "Eine Formalie aus Kiew" (Dmitrij Kapitelman); "Blauwal der Erinnerung" (Tanja Maljartschuk) und "Drang nach Osten" (Artur Becker)
-
4. Panel ab 16 Uhr: "Die Macht der Emotionen" / Lesung und Gespräch mit Lea Schneider und Yade Yasemin Önder. Moderation: Miryam Schellbach und Leon Joskowitz
"Gefühlen und Emotionen wohnt politische Spreng- kraft inne. Sie sind radikal, körperlich, in der Welt verankert, zugleich aber auch immer kulturell codiert. Ihre Ursachen und Wirkungen zu analysie- ren hilft, bestehende gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen und zu verändern – im konstruktiven wie im destruktiven Sinne. Wie zeigen sich Gefühle und Emotionen in der Literatur, welche Macht oder Ohnmacht ist für die Protagonist:innen damit ver- knüpft und welche Rolle spielen sie für den Plot? Dass Emotionen nicht nur textimmanent das Geschehen prägen, sondern auch die Schreibenden selbst, ist Fokus des vierten Panels."
Lea Schneider stellt ihr Essay "Scham" vor, in welchem sie Sprach- und Sprachunfähigkeit erforscht. Yade Yasemin Önder präsentiert ihren Roman "Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron", mit dem sie 2018 den Open-Mike-Wettbewerb gewonnen hat.
- 5. Panel ab 17:30 Uhr: "Die Macht der Sprache" / Lesung und Gespräch mit Tomer Gardi, Alexandru Bulucz und Volha Hapeyeva. Moderation: Miryam Schellbach und Leon Joskowitz
"Die Sprache der Literatur ist frei, sie muss weder effizient sein noch gehorchen. Wirklich gute Er- zählungen bringen auch vermeintliche Gegensätze zusammen. Sie unterhalten und stimmen nach- denklich, sind packend und stürzen in Zweifel."
Tomer Gardi kommt auf seinen Roman "Eine runde Sache" zu sprechen. Alexandru Bulucz liest aus seinem Roman "Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen" und die Schriftstellerin und Dichterin Volha Hapeyeva stellt ihre "widerstände Poesie" vor.