In "Ein rostiger Klang von Freiheit" erzählt die schwedische Schriftstellerin Toril Brekke eine Coming-of-Age-Geschichte, die uns ins Oslo der 1968er Jahre führt. Freiheitsbegehren und die Sehnsucht nach Selbstbestimmung treffen dabei auf familiäre Verluste und die Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen. Ein Roman, der zeigt, dass sich die wirklich großen Reformen im Schatten der öffentlichen Proteste vollziehen.
Toril Brekke bürdet der Hauptfigur ihres aktuellen Romans "Ein rostiger Klang von Freiheit" einiges auf. Agathe, so der Name der 18-jährigen Protagonistin, ist große Schwester, Ersatzmutter, Trauernde, Staunende und Verlassene zugleich. Ein Sammelpunkt verschiedenster Facetten, die sich gegenseitig bedingen, sich hochschaukeln und widersprechen, die aneinanderschlagen, knirschen und aufflammen. Dass sich aus solcherlei Konstellationen innere Konflikte ergeben, sollte niemanden überraschend. Überraschend jedoch ist die Art und Weise, wie Brekke jene Konflikte in ihrem Coming-of-Age-Roman schildert. Verhältnismäßig kühl, beinahe abgeklärt berichtet die Erzählerin, Agathe, von jener Zeit in Oslo, als die Wehen der 68er-Bewegung allmählich die norwegische Hauptstadt erreichten, und Generationen gegeneinander aufbrachten. Auch für Agathe waren es Jahre der Um- und Neuorientierung. Wie sie diese erlebte, erzählt sie in "Ein rostiger Klang von Freiheit"
Gemeinsam mit ihrem 13-jährigen Bruder Morten lebt Agathe in Oslo bei ihrem Stiefvater Isak. Wer der leiblicher Vater ist, wissen die Geschwister nicht. Die Mutter wird uns recht früh als eine ebenso umtriebige wie verantwortungslose Musikerin vor Augen geführt, die Kinder und Mann vor Jahren verlassen hat und generell wenig Wert auf Verbindlichkeit zu legen scheint. So erhalten Agathe und Morten eines Tages einen Anruf von Lennard, dem aktuellen Freund der Mutter, der mitteilt, diese sei verschwunden. Sofort machen sich die Kinder auf den Weg nach Kopenhagen. Eine weitere Suche nach der ständig im Verschwinden begriffenen Mutter. Als Agathe und Morten die attraktive, charismatische Jazz-Sängerin auf einer Kopenhagener Bühne nach mehreren Jahren wiedersehen, hinterlässt diese merkwürdige, einseitige Begegnung vor allem in Morten tiefe Spuren. Er wird seine Ausflüchte finden...
Schnell wird klar, dass Familie Agathes generelle eine zerrissene ist. So taucht plötzlich der Bruder der Mutter, Jannik, aus dem Nichts auf. Knapp zehn Jahre ist es her, dass Agathe ihren Onkel gesehen hat. Andere Familienmitglieder folgen im Laufe des Romans, der das Familienbild nach dem Puzzle-Prinzip allmählich entwirft.
Coming-of-Age / Der Verlust als Chance
Jean Paul Sartre hat die Abwesenheit des Vaters in seiner Autobiografie "Die Wörter" als ein produktivitätsförderndes Element beschrieben. Dort, wo die Vaterfigur fehle, könne die Literatur, der Roman, die Kunst, die literarische und philosophische Arbeit unter Umständen dessen Platz einnehmen. Auch in Toril Brekke´s Roman kennzeichnet die Leerstelle, der Verlust der Mutter, einen solch produktiven Punkt. Bei Agathe ist es das Kunstinteresse, welches hier zu brodeln beginnt. Sie liest viel, lernt Künstler kennen, besucht Ateliers, steht Modell. Instrumente spielt sie bereits seit vielen Jahren, das Thema Musik durchzieht ohnehin die gesamte Familie.
Auch für Morten rücken musikalische Vorbilder zunehmend in den Vordergrund. Stellenweise wirkt das beängstigend, etwa dann, wenn die unerträglich werdende Einsamkeit den Jungen in eine regelrechte Verwandlung hineintreibt. Dass dies exakt dort geschieht, wo sich Agathe dem Leben hingibt, ist ein weiterer wichtiger Pfad, der in "Ein rostiger Klang von Freiheit" eingeschlagen wird: Die verantwortungsvolle Schwester - als Ersatzmutter der Gegenpart der leiblichen -die einerseits für ihren Bruder da sein will, sich anderseits aber nicht den Verlockungen der politisch-elektrisierten Zeit entziehen kann.
So wechselt Agathe kurz vor dem Abitur auf eine neugegründete Reformschule, in der nach dem Summerhill-Modell unterrichtet wird. Schnell lernt sie neue Freunde kennen, entdeckt brisante Themen, führt Diskussionen, beginnt ein eigenständiges Leben in einer ihr zur Verfügung gestellten Wohnung. Das Erlangen von Unabhängigkeit wird allerdings mit der allmählichen Vereinsamung ihres Bruders bezahlt...
Ein wenig überladen
Leicht zugänglich erzählt Toril Brekke eine Geschichte von Einsamkeit, Emanzipation und Selbstbestimmung. Insbesondere das Thema der Einsamkeit wird dabei interessant bearbeitet. Aus der Perspektive Mortens haben wir es hierbei mit drei Aggregatzuständen zu tun: Die nicht zu erreichende Mutter, die allmählich verschwindende Schwester und der unbekannte, leibliche Vater wirken sich in immer stärkere Weise auf den Jungen aus, und bestimmen maßgeblich dessen Entwicklung im Roman.
Am Ende will "Ein rostiger Klang von Freiheit" dann doch zu viel, wodurch einige Themen auf der Strecke bleiben. Die 68er-Politisierung kommt oftmals allzu flach daher, die angesteuerten Geschlechter- und Generationenkonflikte bleiben blass und abgegriffen. Weniger kritisches Bewusstsein, dafür mehr Psychologie hätten dem Buch an dieser Stelle gut getan. Wer davon absehen kann, wird von "Ein rostiger Klang von Freiheit" nicht enttäuscht werden.
Toril Brekke - "Ein rostiger Klang von Freiheit" / Stroux Verlag / 2022 / 332 Seiten / 24 €